Claire Winter: Die Schwestern von Sherwood, Diana Verlag, München 2013, 576 Seiten, €19,99, 978-3-453-29140-9
„ Amalia Sherwood war die Schwester von Cathleen Sherwood, die mit Lord Hampton verheiratet war. Beide Schwestern sind hier im Moor in Devon umgekommen. Amalie 1895 und ihre Schwester anderthalb Jahre später.“
Drei Jahre nach dem II. Weltkrieg sucht Melinda im zerstörten Berlin nach einer Anstellung als Journalistin. Ein erstes Gespräch mit einem Zeitungsredakteur ist nicht so erfolgreich, aber sie darf eine Reportage als Probe abliefern. Als sie gut gestimmt in ihr Zimmer zurückkehrt, erwartet sie ein Paket aus England ohne Absender mit Briefen, Zeichnungen und einer filigran geschnitzten Schachfigur. Melinda ahnt, dass dieses Paket mit ihrer Großmutter zu tun haben könnte, denn sie ist aus England mit ihrer Mutter als Baby vor Jahren nach Deutschland gereist. Wenig, um nicht zu sagen, gar nichts hat die Mutter Melinda über die Großmutter erzählt. Nach und nach wie in einem Puzzle wird sich für Melinda die Vergangenheit ihrer englischen Familie zusammensetzen. Mit Hilfe der Zeitung, für die sie freiberuflich arbeiten kann, reist sie zu einem Seminar nach London. Melindas hartnäckigen Recherchen ist es zu verdanken, dass sie auch den Ort findet, der auf den geschickten Zeichnungen festgehalten wurde. Und so stößt sie auf die Geschichte der Schwestern Amalia und Cathleen Sherwood. Inzwischen hat Melinda auch herausgefunden, dass ihre Großmutter wie Amalia taub war. Da Amalia einen anderen Namen angenommen hat und nach einem traumatischen Erlebnis aus England fort musste, ahnt der Leser schnell, dass sie Melindas Großmutter ist.
Die Sherwoods stammen ebenfalls aus Deutschland, zumindest Elisabeth. Ihr Mann John hat viel Geld bei riskanten Geschäften verloren, aber auch durch geschickte Transaktionen gewonnen. Rasend schnell werden die Sherwoods durch Risikoinvestitionen reich und können es sich leisten, ein Anwesen in Südengland zu erwerben. Als Emporkömmlinge sind sie bei ihren alteingesessenen Nachbarn nicht gern gesehen. Besonders die Hamptons rümpfen die Nase über die ungeschliffenen Neulinge. Elisabeth tut alles, um gesellschaftsfähig zu werden. Als dann ihre überaus anmutige Tochter Amalia an Scharlach erkrankt und als Folge der Erkrankung taub wird, kann Elisabeth damit überhaupt nicht umgehen. Zwischen den Schwestern bleibt das enge Verhältnis erhalten, denn sie erfinden eine eigene Sprache, um sich zu verständigen. Allgemein herrscht in der Gesellschaft das Vorurteil, dass taube Menschen dumm seien oder behindert. Amalia und Cathleen wissen, dass es nicht so ist.
Immer wieder aus den unterschiedlichen Perspektiven der einzelnen Protagonisten erzählt die Autorin von den Ereignissen, tiefere Einblicke ins Innenleben der Figuren gewährt sie allerdings nicht. Amalia zieht sich immer mehr zurück, geht gern ins Dartmoor und den anliegenden Wald und trifft dort den jungen Edward Hampton. Sie verlieben sich trotz aller Verständigungsschwierigkeiten, zumal er nicht weiß, wer sie ist. Als die Hamptons in ernste finanzielle Schwierigkeiten geraten, muss Edward reich heiraten. Die Auserwählte ist Cathleen Sherwood, die schon immer für Edward geschwärmt hat.
Als Edward erkennt, wer Amalia wirklich ist, will er sie heiraten. Aber seine Familie verweigert sich trotz drohendem Ruin dieser Verbindung. Elisabeth schickt Cathleen auf Bildungsreise nach Paris und die gehörlose Amalia in ein Sanatorium, das einem Gefängnis gleicht. Gleichzeitig fingiert sie den Tod ihrer eigenen Tochter, um den gesellschaftlichen Aufstieg der anderen Tochter zu forcieren.
Doch niemand wird durch diese Allianz glücklich, ganz im Gegenteil.
Hinter all diese Familiengeheimnisse und Dramen wird Melinda gelangen und sie wird sogar noch recht praktisch einen attraktiven Anwalt kennenlernen, der sich in sie verliebt.
Wer letztendlich das Paket an Melinda geschickt hat und wer ihre Nachforschungen vehement behindert, auch das wird aufgeklärt werden. Wieder geht es wie vor Jahren schon ums liebe Geld und die Traditionen.
Konventionell und routiniert erzählt die deutsche Autorin Claire Winter bei aller Vorliebe für die Abgründe der englischen Gesellschaft und ihren unheimlichen Landschaften diese dramatisch aufgeblähte, triviale Familiengeschichte, in der es an sensiblen Zwischentönen, psychologischem Einfühlungsvermögen und nachvollziehbaren Entwicklungen leider fehlt. Die Figuren wirken wie am Reißbrett konstruiert und die Handlung ist in Teilen mit antiquierten Geschlechterklischees angereichert. Alles passt so nahtlos und aalglatt zusammen, die wahren Brüche und Komplikationen, die der Leser ahnt und die wirklich spannend gewesen wären, werden leider geschickt umschifft, um wieder im Seichten zu landen.
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