Bernadette Conrad: Die kleinste Familie der Welt – Vom spannenden Leben allein mit Kind, btb bei Verlagsgruppe Randomhouse, München 2016, 349 Seiten, €16,99, 978-3-442-75635-3

„Und genau das scheint mir der Unterschied, das „Alleinstellungsmerkmal“ der kleinsten Familie zu sein: Genau dort, wo sie es schwerer hat, hat sie es auch leichter. Die Kehrseite vom harten und schmerzlichen Alleinsein ist das kraftvolle Alleinsein – die Freiheit, allein, in der Überschaubarkeit einer Zweierbeziehung, handeln zu dürfen.“

Bernadette Conrad arbeitet langjährig als Kulturjournalistin für verschiedene Zeitungen, wie DIE ZEIT, die NNZ, die FAZ u.a.. Sie schreibt Buchkritiken, Porträts, führt Literaturgespräche und veröffentlicht Bücher über literarische Themen. „Die kleinste Familie der Welt“ ist jedoch ein sehr persönliches Buch geworden, denn die 53-jährige Autorin erzählt von ihrer eigenen Lebenssituation mit Tochter Noëmi, die mittlerweile 15 Jahre alt ist und acht weiteren Alleinerziehenden mit einem oder mehr Kindern. Dabei bleibt die Autorin, die in Konstanz lebte und im Laufe des Schreibens nach Berlin umgezogen ist, auch über Kleinfamilien in den USA, in Finnland, in Großbritannien oder Australien. Starke Frauen und ein starker Mann, Autorinnen, wie Cornelia Funke oder Annett Gröschner kommen zu Wort, aber auch eine Lebenskünstlerin, eine Ärztin und Freiberufler.

Bernadette Conrad besucht jede Kleinstfamilie, hat zu einigen auch persönliche Beziehungen und versucht mit klarem und verständigem Blick auch die Ansichten der Kinder in ihren Darstellungen miteinzubeziehen. Rückhalt holt sie sich aus der Fachliteratur und sieht auch diese kritisch. Klar ist, niemand hat sich diese kleine Familie, so wie sie nun mal besteht, ausgesucht. Immerhin fehlt in jeder fünften Familien in Deutschland ein Elternteil. Das Leben hat sich einfach so ergeben und sicher ist es für das Wohl des Kindes besser in einem friedlichen Umfeld aufzuwachsen und nicht zwischen sich bekriegenden Erwachsenen. Wenn die Väter fehlen, sind sie entweder verstorben, sie haben sich einfach nie um die Kinder gekümmert oder sie führen einen erbitterten, oft auch unfairen Kampf ums Sorgerecht. Nichts wird in diesen Fallbeispielen, die sehr unterschiedlich sind, beschönigt. Alleine leben mit Kind und als Mutter oder Vater voll arbeiten, besonders wenn die Kinder noch klein sind, ist eine Mammutaufgabe.

Im Gegensatz zu Finnland oder Schweden fühlt sich der deutsche Staat mit seinen Unterstützungsmechanismen für diese Familienform nicht zuständig. Allein leben mit Kind, und das weiß mittlerweile jeder, ist die Armutsfalle schlechthin. Auch die Autorin kann dies bestätigen, zumal in den Medien die Auftragslage nicht besser wird und die Honorare kaum steigen.

Und doch ist die Unabhängigkeit für viele alleinerziehende Frauen, trotz finanziellem Frust, permanenter Überarbeitung und dem Wissen, alles allein entscheiden zu müssen, das Wichtigste. Selber Schuld sagen die einen. Irrtum, sagt Bernadette Conrad:„Wenn ich als Frau die Unabhängigkeit von traditionellen Familienmodellen wähle, habe ich damit nicht gleichzeitig den Verzicht auf Unterstützung gewählt! Ich habe nicht dafür optiert, aus tragenden gesellschaftlichen Zusammenhängen herausgenommen zu werden. Ich habe nicht dafür gestimmt, dass mein Weg in fast jeder Hinsicht ein härterer sein muss.“

Bernadette Conrad reist viel mit ihrer Tochter und kann so Recherchearbeiten und Zeit mit der Tochter verbinden. Jeder, der alleinerziehend ist, versucht auf seine Weise dem Kind oder den Kindern alles zu geben, was möglich ist. Hier findet sich kein Unterschied zu anderen Familien. Allerdings müssen sich Alleinerziehende, wenn die eigene Familie nicht unterstützt, ein gutes Netzwerk an Kontakten aufbauen, um wirklich gut durchs Jahr zu kommen, eine Begabung, die vielleicht nicht alle haben.
Interessant sind natürlich die Einschübe der belesenen Autorin, die darauf hinweist, dass z.B. Nobelpreisträgerin Alice Munroe zu ihren literarischen Form auch bedingt durch die Zeitnot der Alleinerziehenden gefunden hat.
Trotz aller äußeren Widerstände und möglichen Auseinandersetzungen mit dem anderen Elternteil finden Kleinstfamilien in welchen Konstellationen auch immer ihre eigenen Rituale, ob nun zu Weihnachten oder in den Ferien. Und Kinder, wenn sie in die Pubertät kommen, so wie Noëmi beginnen sich langsam von der Mutter abzulösen. Auch damit muss, wenn man so aufeinander fixiert ist, jeder für sich klarkommen.

Bernadette Conrad hat ein kluges, realitätsnahes, informatives und vor allem, wenn es um die Beschreibung der Beziehungen zwischen Elternteil und Kind geht, fein beobachtetes Buch geschrieben. Es wird nichts schön geredet, aber auch nicht gejammert, sondern die Lage der alleinerziehenden Frauen klar und mit Fakten analysiert.