Tom Rachman: Die Gesichter, Aus dem Englischen von Bernhard Robben, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2018, 416 Seiten, €22,00, 978-3-423-28969-6
„Wie absurd, denkt Pinch mit geballten Fäusten. Stünde Bear jetzt neben den Bildern, würde alle Welt sie lieben. Und das genau ist das Problem. Denn jetzt stehe ich hier.“
Als der vierzigjährige Amerikaner Bear Bavinsky im Jahr 1949 in Rom die zwanzigjährige Kanadierin Natalie kennenlernt, stürzen sich alle Exilamerikaner auf den charismatischen Maler. Natalie fühlt sie immer ausgeschlossen. All ihre Liebe schenkt sie ihrem gemeinsamen Sohn Pinch, der eigentlich Charlie heißt. Natalie versucht sich als Töpferin, glaubt aber nie genug Talent zu haben. Sie hat nach einem Streit mit der Mutter Ruth das Weite gesucht. Bear, ein temperamentvoller, großzügiger, aber auch egoistischer, launischer und selbstbezogener Künstler, ist viel zu sehr mit sich und seinem Werk beschäftigt, um sie zu ermutigen. Vieles verbrennt der Maler, wenn es nicht vor seinem kritischen Auge besteht. Und Bear, der finanziell abgesichert ist, geht es nie ums Geld, sondern um seinen Platz in Sammlungen oder Museen. Zwar heiraten die beiden, aber Bear kehrt bald wieder zu seiner amerikanischen Familie zurück. Ungehemmt und voller Enthusiasmus führt dieser Künstler, so wie es alle erwarten, sein Leben und wird am Ende siebzehn Kinder gezeugt haben.
In großen Zeitabschnitten begleitet der Leser nun den allein gelassenen Sohn des großen Malers durch sein anscheinend leeres und mittelmäßiges Leben. Nie hat ihm die aufopferungsvolle Liebe der Mutter und ihre Ermutigungen an seine Begabung genügt, er sehnte sich immer nach der Anerkennung des Vaters. Doch dieser, der alle mit großen Gesten umarmen kann, zerstörte, als der fünfzehnjährige Pinch ihn endlich mal in den USA besuchen durfte, mit einem Satz alle Ambitionen des Sohnes auf eine Künstlerkarriere. Pinch findet an keiner Schule Freunde, er sieht die Einsamkeit seiner Mutter als erfolglose Künstlerin, ihre Scham, wenn sie nur hofiert wird, weil sie den Namen Bavinsky trägt und doch niemand etwas nach einer Galerieausstellung kauft.
Depressionen, ständige psychische Krisen und die Flucht ins bürgerliche Leben bleiben der Mutter und am Ende ein qualvoller Selbstmord.
Pinch klammert sich nun an eine akademische Laufbahn, lernt die begabte Cilla Barrows kennen und besucht mit ihr gemeinsam das Ferienhaus des Vaters in Frankreich. Pinch soll ihm mit seinen Sprachkenntnissen helfen, das Haus zu verkaufen. Doch als Cilla und der Vater zusammentreffen, kommt es zu einer Auseinandersetzung, an deren Ende Cilla ihn heftig kritisieren wird und Pinch verlässt.
Immer wieder ringt Pinch um die Liebe des Vaters. Er sendet ihm seine Doktorarbeit, die der Vater nicht mal liest. Pinch heiratet, der Vater kommt nicht zur Hochzeit und schickt auch nie die versprochene Kiste Champagner. Die Ehe mit Julie hält nicht lang. Pinch ist ein Verlierer, er glaubt nicht an sich. Er arbeitet als Italienischlehrer mehr schlecht als recht.
Zum Verkauf des Ferienhauses in Frankreich jedoch wird es nie kommen, denn der Vater hortet dort seine Bilder. Sein künstlerischer Stern ist langsam im Sinken. Pinchs übergroße Liebe zum Vater verkehrt sich langsam ins Gegenteil. Als der Vater ihm mitteilt, dass er seinen Nachlass verwalten soll, zerstört er im Anflug von Rache und betrunken eines der Bilder im Atelier in Frankreich.
Geschockt von dieser Tat kopiert Pinch das Bild des Vaters hinter seinem Rücken und verkauft es, um seiner Halbschwester Birdie aus ihrer schrecklichen Ehe zu befreien. Pinch lebt nun in der ständigen Angst, dass der Vater hinter diesen Betrug gelangen könnte. Und zurecht, denn seine Wut ist unerträglich, vernichtend.
Nach den Tod des Vaters zeichnet Pinch dann den Zyklus Die Gesichter und verewigt nicht Gliedmaßen, die Bear oft als Motiv wählte, sondern die Gesichter seiner Kinder.
Was bedeutet Kunst? Wer ist ein wahrer Künstler? Kann jeder Kunst machen, der sich mit seinem Charisma einfach gut vermarkten kann? Wie führt man ein bedeutendes Leben?
Wenn Bear ein Bild malt, ist die Welt entzückt, auch wenn der Maler eigentlich sein Sohn ist.
Die Nachkommen Bears wittern nur das Geld, als das sogenannte Spätwerk von Bear auftaucht als Genugtuung für die konsequente Missachtung durch den Vater und sein Desinteresse.
Bis in die Gegenwart hinein umkreist Tom Rachman nicht den großen Künstler, sondern seinen unbedeutenden Sohn, der im Schatten des Vaters nicht glücklich werden konnte.
Tom Rachman erzählt von einer unsäglichen Intrige innerhalb des internationalen Kunstmarkts und er stellt einen Menschen in den Mittelpunkt seines Romans, der mit sich ringt und am Ende irgendwie doch froh wird.
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