Kristin Halbrook: Die Geschichte von Zoe und Will, Aus dem Amerikanischen von Beate Brammertz, Heyne Verlag, München 2013, 319 Seiten, €14,99, 978-3-453-26874-6

„Was verdammt noch mal habe ich vorhin nur getan? Zoe so zu behandeln. Als wäre sie nicht das Allerwichtigste in meinem Leben. Habe uns in Schwierigkeiten gebracht. Will ich etwa, dass die Cops gerufen werden? Will ich, dass jemand weiß, wohin wir fahren?“

Sie halten sich aneinander fest wie zwei Ertrinkende, die in sich gekehrte, kluge Zoe und der wütende, respektlose Will. Kaum 18 Jahre alt, beschließt Will mit seinem klapprigen Auto abzuhauen, fort aus dem Heim und dem öden Ort. Obwohl sich die 15-jährige Zoe und Will erst zwei Monate kennen, wissen beide, sie gehören zusammen. Sie hauen ab. Immer im Wechsel offenbaren Zoe und Will ihre Gedanken, Erinnerungen und Zweifel während der turbulenten Geschehnisse auf den Straßen zwischen North Dakota und Las Vegas. Beide Jugendliche sind wie Verlorene, Ausgestoßene, die nur sich auf der Welt haben. Zoe verschließt sich, denn sie wird von ihrem trunksüchtigen, arbeitslosen Vater sinnlos verprügelt und gedemütigt. Nur die Mutter hat sie bis zu ihrem sechsten Lebensjahr schützen können, dann geschah der tödliche Unfall. Der emotional vernachlässigte Will hat schon lang kein Zuhause mehr. Seine einst 16-jährige Mutter hatte ihn als Kleinkind bei den Nachbarn abgegeben, um alles hinter sich zu lassen. Ein langer Leidensweg hat Will von der ungeliebten Großmutter, über Stationen in Pflegefamilien bis hin zu Heimaufenthalten zu dem gemacht, was er heute ist – verletzt, sensibel, ein Mensch, der Liebe geben möchte, unbedingt. Will ist bodenständig, praktisch veranlagt, doch er kann sehr schnell gewalttätig werden, er beherrscht seine Wut nicht, die sich in ihm anstaut und raus muss. Er will hart arbeiten, Geld verdienen, eine Familie haben und für Zoe sorgen. Sie soll die Schule zu Ende machen und aufs College gehen. Für sie würde er sich in Stücke reißen lassen, ihr will er die Angst nehmen und sie auf Händen tragen.

Immer wieder bestätigen sich die beiden auf ihrer Flucht, wie sehr sie einander gut tun und doch geht jeder seinen Gedanken nach und entdeckt im Zusammensein mit dem anderen auch seine Grenzen und inneren Konflikte.

„ ,Ich liebe dich\‘, sagte sie zu mir. Ich denke darüber nach, wie oft wir das schon gesagt haben, seit wir abgehauen sind. Häufig. Mir gefällt das. Geliebt zu werden, ist ein ganz neues, verrücktes Gefühl. Ich kann gar nicht genug davon kriegen.“

Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlen sich die beiden jungen Menschen angenommen, genau so wie sie sind. Jeder hat im anderen den guten Kern entdeckt. Sie träumen vom Meer, von Hollywood, von Kindern und von der ewigen Liebe, die es für sie gibt, denn noch sind sie neugierig auf den anderen, auf alles, was ihn bewegt. Sie hoffen auf ein glückliches Leben und wissen im gleichen Moment nicht, wie dieses aussehen könnte. Will hat Geld entwendet, um mit Zoe leben zu können. Sie hat sich auf alles eingelassen, um endlich das verhasste Zuhause zu verlassen. Inzwischen ist die Polizei hinter den beiden her, denn Zoes Vater hat Will wegen Körperverletzung, nicht Entführung seiner minderjährigen Tochter, angezeigt.

Bei ihrem Roadtripp ins Ungewisse durchkreuzen die beiden Elko in Nevada, den Geburtsort Wills. Er sucht die Mutter der Nachbarin auf, die ihn damals nicht adoptieren durfte. Jetzt wohnt sie in Kalifornien und ist völlig überwältigt als Will sie anruft.

Diese Reise bringt für Will viele unbekannte Einblicke in seine Vergangenheit, die er verarbeiten muss und bedenken. In gewisser Weise beginnt er seine Mutter zu verstehen, verzeiht ihr vielleicht innerlich. In ihren gemeinsamen Gesprächen erkennt Zoe, dass sie nicht schuldig ist am frühen Tod der Mutter, wie der Vater es ihr als kleines Mädchen mit Gesten suggeriert hat. Zoe hat die Mutter nach einem Streit mit dem Vater die Treppe hinunterfallen sehen. Seit dem Tag spürt sie diese Angst vor dem Vater und der Welt. Will jedoch hat vor nichts Angst, aber er hadert mit sich und seinen unbeherrschten Wutausbrüchen.
Einer dieser Anfälle, der natürlich mit Zoe und Wills Beschützerinstinkt zu tun hat, wird diese Reise der beiden vorzeitig beenden und zu einem tragischen Ende führen.

Eins hat die amerikanische Autorin Kristin Halbrook in ihrem Debüt und Road-Novel geschafft, von Anfang an hat der Leser auch durch die authentische Sprache und die Erzählform im Präsens das Gefühl, er ist ganz nah an den Protagonisten dran. Durch ihre Erzählperspektive sieht er die Geschehnisse von beiden Seiten, die Verunsicherungen, die Ahnungslosigkeit, aber auch die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Wehrt sich Will gegen jede noch so kleine Attacke gegen ihn, so erhebt Zoe, wenn sie verbal oder körperlich angegriffen wird, weder das Wort noch die Fäuste. Im Laufe der Gespräche und inneren Monologe lernen die beiden Hauptfiguren vieles über sich selbst und das Erwachsenwerden. Und doch ist die Reise der beiden Außenseiter, und hier gelingt der Autorin ein realistischer Blick, von Anfang an dramatisch und zum Scheitern verurteilt. Die Glücksmomente während der Reise, der Blick in die so unterschiedlichen, beeindruckenden Landschaften, die Sehnsüchte und das Tragische, das nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann, bleiben.