William Boyd: Die Fotografin – Die vielen Leben der Amory Clay, Aus dem Englischen von Patricia Klobusiczky und Ulrike Thiesmeyer, Berlin Verlag, Berlin 2016, 556 Seiten, €24,00, 978-3-8270-1287-6
„Nach so vielen Jahren voller Fehler, voller Ungewissheit und falscher Entscheidungen hatte ich für mein Leben nun endlich ein festes Ziel vor Augen.“
Alles beginnt im Jahre 1908. In der Hoffnung einen Stammhalter gezeugt zu haben, schaltet der künftige Vater, ein Schriftsteller, eine Geburtsanzeige in der Londoner Times, und verkündet die Geburt eines Sohnes. Aber Amory Clay ist ein Mädchen und auch ihre jüngere Schwester erfüllt die Hoffnungen nicht. Erst mit Alexander, den alle Xan nennen, ist der Sohn endlich geboren. Gut situiert lebt die Familie und doch hinterlässt der 1. Weltkrieg seine Schatten. Amorys Vater kehrt aus dem Krieg als gebrochener Mann zurück. Amory muss im Gegensatz zu ihren Geschwistern auf ein Internat gehen. Da hat ihr Onkel Gerville bereits eine erste Kamera geschenkt. Erst später erfährt sie, dass mit dem Internatsbesuch ein Geldsegen verbunden ist, den die Familie, die doch nicht so gut betucht ist, der Vater kann nicht mehr schreiben, benötigt. Eines Tages holt der Vater die Tochter mit dem Auto ab. Angeblich will er ihr etwas Wichtiges sagen. Plötzlich reißt Amorys Vater das Lenkrad herum und rast mit dem Wagen in den See. Ein Alptraum. Mit letzter Kraft kann Amy sich und ihren Vater retten. Er wird in eine Klinik eingewiesen, sie verzeiht ihm und kann es doch nicht wirklich. Als wäre die Kindheit vorbei, so scheint es.
Aus zwei Perspektiven erzählt der britische Autor William Boyd seine so täuschend dem Leben abgeschaute Biografie einer starken Frau, die nicht immer weiß, was sie will, aber nicht scheut, neue Wege zu gehen. 1977 sitzt Amy an der Westküste Schottlands beheimatet und erinnert sich. Parallel dazu läuft das Erlebte in Echtzeit ab. Als Assistentin von Gerville beginnt Amy ihren beruflichen Weg als Fotografin. Sie hat einen Blick für Situationen, entscheidende Momente. Nur ein Skandal, nach einer Pleite in London, könne sie berühmt machen und so fährt Amy mit geborgtem Geld und einer Kamera nach Berlin und begibt sich in zwielichtige Klubs und fotografiert heimlich.
Als obszön werden ihre Bilder in der Heimat dann konfisziert. Das Gute an der Geschichte jedoch ist, dass ein reicher Amerikaner, Cleveland Fizi, sie nach New York einlädt. Männer, Zufälle und Amys Begabung bringen sie von einem Standort zum nächsten. Sie akzeptiert die Rolle der Geliebten und pendelt so von einem Mann zum nächsten, lernt real existierende Personen, wie Marlene Dietrich oder Frank Capra kennen und scheut sich nicht, für Fotos ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Sie wechselt die Arbeitsorte, entdeckt, dass sie für die Modefotografie nicht geschaffen ist und sucht nach einem Anker. Den findet sie in einem schottischen Adligen, Sholto Farr, mit Gütern und Schulden und sie wird, trotz gegenteiliger Meinung von Ärzten, schwanger. Als Lady Farr lebt sie nun mit ihren Zwillingen und der Schwiegermutter auf einem langsam zerfallenen hochherrschaftlichen Anwesen. Nach und nach bemerkt Amy, dass ihr Ehemann ein ernstes Alkoholproblem hat und bei seinen Aufenthalten in London spielt. Als Kriegsheld zurückgekehrt belastet ihn ein Ereignis 1945 an der Wesel, von dem er nicht sprechen kann. Nach und nach provoziert Sholto Farr durch Whisky- und Zigarettenkonsum seinen gesundheitlichen Untergang. Ohne sein Testament zu ändern, alles geht an den Sohn aus erster Ehe, verstirbt Amys Mann, da sind seine Kinder nicht mal erwachsen.
Amy mit einem Cottage abgespeist, stürzt sich endlich wieder in ihre Arbeit als Fotografin. Ihr Weg führt sie erneut in fremde Welten, diesmal nach Vietnam.
Über ein Jahrhundert spannt sich die Familiengeschichte von Amory. Spannend liest sich dieser Roman einer emanzipierten Frau, der dies gar nicht bewusst ist. William Boyd nutzt gefundene Fotos aller Art, um seine Geschichte um Amory Clay glaubhaft zu inszenieren.
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