Jenny Valentine: Die Ameisenkolonie, Aus dem Englischen von Klaus Fritz, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2011, 215 Seiten, €12,90, 978-3-423-24842-6
„ Das ist die Sorte Mensch, die ich wohl sein muss – ich denke nie an Dinge, die mir etwas bedeuten, bis ich sie verloren habe.“\r\n
Ein jugendlicher Ausreißer, ein einsames Mädchen und eine alte verhutzelte Frau sind die Hauptfiguren dieses so einfühlsamen Romans.
Sam, das Landei, wie ihn die alte Isabel nennt, ist abgehauen. Im „Ameisenhaufen“ London sucht er die Anonymität. Schnell findet er eine bezahlbare, aber schäbige Wohnung und einen Job.
Im heruntergekommenen Haus in Camden Town begegnet er dann der rothaarigen Bohemia, die so viel plappert. Wenn jemand weiß, was es heißt allein zu sein, dann ist es dieses 10-jährige, pummelige Mädchen. Ihre Mutter Cherry torkelt im Suff oder unter Drogeneinfluss von einem Liebhaber zum nächsten und von einer Wohnung zur nächsten. Bo geht nicht in die Schule, ihre Sachen sind viel zu klein und zu schmutzig. Sie hängt sich an jeden, der ihr etwas Aufmerksamkeit schenkt und erhofft sich doch eigentlich nur die Liebe ihrer viel zu jungen Mutter. Isabel hat das erkannt. Es wurmt sie, dass Cherry ihre Tochter so vernachlässigt.
Sam wehrt sich gegen Isabels Freundlichkeit, will keinen Kontakt zu Bo und doch kann er nicht wegschauen, wenn er sieht, dass das Mädchen in Schwierigkeiten geraten könnte. Sie versucht in dem Laden, in dem Sam die Regale einräumt, zu klauen. Er kann sie rechtzeitig vor den Beobachtungen des Ladenbesitzers warnen. Sam versucht sich immer mehr einzuigeln, aber gegen Isabel und Bo hat er keine Chance. Der junge Mann läuft vor etwas weg und dieses Geschehen in der Vergangenheit muss mit Max, dem Freund, der sich so intensiv mit Ameisen beschäftigt, zusammenhängen. Als Sam sich gegen die Anhänglichkeit und Nähe von Bo wehrt, eskaliert die Geschichte und das Mädchen haut ab. Sie bringt Max, ohne zu ahnen, was geschehen ist, sein Ameisenbuch und Sam muss sich der Vergangenheit stellen.
Jenny Valentine hat eine sensible und nachdenklich stimmende Geschichte aus Sams und Bos Sicht über Schuld und Reue geschrieben. Die Handlung spielt in einem sozial schwachen Milieu, erzählt von Armut und Verwahrlosung und doch trifft die britische Autorin den richtigen Ton, um ihre Figuren nicht zu denunzieren. Sie schreibt nicht wehleidig oder verurteilend, sondern direkt und genau. Was tun sich Menschen an, die sich doch mögen und brauchen? Jenny Valentine erzählt von den inneren und äußeren Konflikten der einzelnen so lebendig gezeichneten, in sich so widersprüchlichen Figuren. Sam will sich konsequent aus allem herausziehen und versteht nur langsam, dass das nicht die Lösung für sein Problem ist. Bo ist fasziniert von Sam, der mit ihr in den Park geht und sich Zeit nimmt, um mit ihr das National Museum zu besuchen. Sie kann gar nicht fassen, dass es noch einen anderen Sam geben könnte.
Jenny Valentine ist eine vielschichtige Geschichte gelungen, die noch lang nach der Lektüre den Leser gedanklich beschäftigen wird.
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