Fred Vargas: Der Zorn der Einsiedlerin, Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze, Limes Verlag, München 2018, 507 Seiten, €, 978-3-8090-2693-8

„ Er kam von seiner Seefahrt zurück, für die er sie alle – außer Danglard – angeheuert hatte, kam zurück als geschlagener Kapitän auf einem Schiff mit gebrochenen Masten, zerschellt an den Klippen der unabweisbaren Fakten.“

Jede Geschichte der anerkannten französischen Krimiautorin und Archäologin Fred Vargas ( eigentlich Frédérique Audoin-Rouzeau ) ist außergewöhnlich. Auch bei diesem Fall, dem einige weniger bedeutende vorangehen, müssen Jean-Baptiste Adamsberg und sein Team enorm viel Geduld und Kombinationsfähigkeit aufbringen, um endlich zu verstehen, was eigentlich wirklich wann und wie vorgefallen sein muss. Adamsbergs Misstrauen wird geweckt als in kürzeren Abständen zwei über achtzig Jahre alte Männer durch die Bisse der Einsiedlerspinne auch Violinen-Spinne genannt sterben. Louis Veyrenc aus Adamsbergs Team, bekannt durch seine Vorliebe für Tiere aller Art, ist auf diesen Fall gestoßen. Kurz zuvor zog sich Veyrenc den Unmut seiner Kollegen zu, da er einen extrem stinkenden Muränenkopf unter seinem Schreibtisch deponiert hatte. Da Adamsberg den Theorien im Netz über die schnelle Mutation des Spinnengiftes nicht glaubt, konsultiert er einen ziemlich arroganten Arachnologen und trifft dort auf Iréne, eine alte Frau, die ein Exemplar dieser Spinne dem Wissenschaftler zur Verfügung stellen wollte. Als Adamsberg seinem Team von seinen Vermutungen berichtet, er denkt, dass die Männer getötet wurden, stößt er zuerst auf Unwillen, besonders vom hochgebildeten Danglard.

Doch nach und nach setzt sich ein Bild zusammen, denn die beiden toten Männer aus Nimes und diese Info kommt von Iréne, kannten sich seit Kindertagen. Nach einigen Recherchen und dem Besuch eines Kinderpsychologen, dessen Vater ein Waisenhaus leitete, stellt sich heraus, dass die beiden getöteten Männer dort groß geworden sind und mit weiteren Jungen die sogenannte Einsiedlerspinnen-Bande bildeten. In einem Dossier aus den Jahren 1944 bis 1947 wurden alle ihre gefährlichen Missetaten festgehalten. Mit Hilfe der Spinnen, es gab noch kein Penicillin, hat die Bande andere Kinder schwer verletzt. Beine und Füße mussten amputiert werden, Gesichter wurden mit Narben zerstört. Zwar wurden die Jungen bestraft, aber sie konnte nichts halten. Als Jugendliche begannen sie dann Mädchen zu vergewaltigen und offenbar auch später als Erwachsene hielten sie Kontakt und schändeten gemeinsam junge Frauen. Adamsberg entdeckt, dass Mitglieder der Bande durch Unfälle ums Leben gekommen sind. Dann ergibt sich eine Pause von vierzehn Jahren und die Spinnengift-Morde beginnen. Schnell fokussiert sich der Kommissar auf die Opfer der Spinnen-Attacken, in dem Glauben, dass sie sich bitter rächen wollten, was nahe liegt.

Eine weiterer Toter, der durch einen Spinnenbiss verstorben ist, lässt Adamsberg zweifeln, bis er erkennt, dass auch dieser Mann mit der Bande in Kontakt gekommen ist. Und dann wird erneut ein alter Mann von einer Spinne gebissen und ins Krankenhaus eingeliefert, er kennt die Toten und ahnt, dass er nun noch zwei Tage zu leben hat. Zum ersten Mal kann Adamsberg mit einem Bandenmitglied, doch diesmal einem reuigen, sprechen. Doch weder er noch seine Lebensgefährtin haben die geringste Ahnung, wie ihm das tödliche Gift, dass die zwanzigfache Dosis einer Spinne enthält, injiziert wurde.

Adamsberg ist am Verzweifeln, zumal er bei dem Wort Einsiedlerin eine ungeahntes Unbehagen überfällt. Sein Bruder wird ihn aufklären, denn Adamsberg hat in seiner Kindheit durch seine Neugierde eine schreckliche Begegnung gehabt und verdrängt. Er hat eine sogenannte Einsiedlerin, eine Inkluse oder Rekluse, wahrhaftig gesehen. Die Mutter hatte ihr etwas gebracht und der Anblick der verwahrlosten eingeschlossenen Frau versetzte den Jungen in Panikzustände.

Doch die Freisetzung dieser schrecklichen Erinnerung öffnet für Adamsberg auch einen neuen Ermittlungsansatz. Bei der Suche nach den Mördern oder dem Mörder waren offenbar die einstigen Kinder, die durch die Spinne entstellt wurden, nicht die Täter, sondern es musste eine Frau oder Frauen sein, die sich aus der Welt zurückgezogen haben, da sie einst von Männern geschändet wurden.

Tief in den Niederungen der menschlichen Seele gräbt die Autorin, die sich wieder auf Geschehnisse im Mittelalter bezieht, die bis in unsere Gegenwart fortwirken. Erstaunlich ist die Feinfühligkeit des Kommissars und nicht nur er nimmt auf Gefühle Rücksicht. Allerdings eskaliert dieses Mal der Konflikt mit Adrien Danglard, der Adamsbergs Ermittlungen boykottiert, ihn versucht zu denunzieren und am Ende seine Sachen packen muss. Doch Adamsberg kann ihn nicht gehen lassen, lieber setzt er mal seine Fäuste ein, um für reine Luft zu sorgen.

Temporeich erzählt die Autorin ihre Geschichte, die jedoch eine ganze Weile um eine Idee kreist, die sich als falsch erweist. Auf der richtigen Spur dann würde der Kommissar jedoch am liebsten umkehren.