Emily Jenkins, Joëlle Tourlonias ( Ill.): Der unsichtbare Wink, Aus dem Englischen von Gabriele Haefs, Carlsen Verlag, Hamburg 2012, 157 Seiten, €9,90, 978-3-551-55593-9

„Das ist der pure Wahnsinn“, sagt Wink. „Ich schwöre, ich werde die Menschen nie verstehen.“

Hank Wolowitz ist der Erzähler dieser kuriosen Geschichte, die im fernen Brooklyn spielt. Hanks Eltern betreiben ein kleines Eiscafé, das sich, aus welchen Gründen auch immer, Der große runde Kürbis nennt. Der Junge ist etwas traurig, denn sein enger Freund Wainscotting ist fortgezogen. Nun beginnt die 4. Klasse und Hank hat ein bisschen Angst vor dem ersten Schultag. Aber noch sind Ferien. Hank vertreibt sich die Zeit in der Eisdiele und kugelt sich aus Langeweile auf dem Boden. Dort entdeckt er seinen lang vermissten Lego-Propeller, greift nach ihm und hat plötzlich Fell in der Hand, unsichtbares Fell. Als Hank dann aber mit dem Nachbarshund ausgeht und dieser ständig in Richtung einer bestimmten Ecke bellt, in der nichts zu sehen ist, ist klar, da ist jemand. Wink heißt das kleine unsichtbare Fellknäuel, das angeblich sehr niedlich ist und dem Hank das Leben gerettet hat. Wink ist wild nach Kürbis und erhofft sich nun in der Eisdiele Unmengen von dem Gemüse. Doch Fehlanzeige. Wink erzählt die tollsten Lügengeschichte, mal stammt er aus Äthiopien, dann wieder aus Mexiko. Er ist angeblich ein Bandapat, der unsichtbar geworden ist, um sich vorm Aussterben, dem Zoo oder gewagten Experimenten zu retten. Hank mag Fantasiegeschichten und so hört er sich alles an, was dieser seltsame Kerl ihm berichtet. Aber der freche Unsichtbare ist nicht nur auf Kürbis scharf, er ist ein unersättlicher Fresssack, mag „köstlichen Käsekram“, sprich Pizza, Wan-Tan-Taschen und alles, was wunderbar schmeckt. Nun steht Wink in der Schuld seines Lebensretters und kann erst wieder erneut auf Kürbissuche gehen, wenn er Hank ebenfalls mit einer guten Tat belohnt hat. Dazu wird es bald Gelegenheit geben, denn Hank gerät in der Schule an den unfairen, brutalen Bruno Gillicut, der es auf ihn abgesehen hat. Jeden Tag muss Hank ihm seine Streusies und andere Leckereien aus seiner Brotbox aushändigen. In seiner Angst wendet sich der empfindsame Hank an die Erwachsenen, seine Lehrerin und seine Eltern, aber die reagieren eher hilflos oder ungerecht. Hank hat nur noch eine Wahl, er muss Gullicut an seiner schwächsten Stelle mit Worten treffen. Aber das bringt Hank nicht nur noch mehr Ärger ein, sondern auch arge Gewissensbisse. Nun schlägt Winks Stunde der Rache, er entwickelt einen Plan gegen den „Dreckskerl und Höhlenmensch“ Gullicut, der alles andere als pädagogisch korrekt ist, aber wirksam.

Die leicht abgegriffene Erzählidee, dass sich Kinder ins Reich der Vorstellung, des Irrealen und Magischen flüchten, wenn Freunde wegziehen oder sie sich einsam fühlen, ist nicht neu. Neu ist auch nicht, dass die oftmals unsichtbaren Fantasiefiguren sich frech, eigennützig und liebenswert zugleich verhalten.
Doch die vielschichtige Geschichte der amerikanischen Autorin Emily Jenkins besticht ohne Zweifel durch ihre leichthändig geschriebene Handlung, ohne das wirkliche Leben aus den Augen zu verlieren, die witzigen Dialoge und die Konfliktlösungen, die Hank und Wink in ihrer Hilflosigkeit so andenken. Gut ausbalanciert zwischen Komik und Ernsthaftigkeit erlebt der Leser im hautnahen Präsens den Beginn einer dicken Freundschaft mit vielen Slapstick-Szenen und deftigen Lügen. Alle Figuren sind in ihrer realistischen Handlungsweise überzeugend, nichts wirkt konstruiert, nicht mal das Hirngespinst von Hank, das fluffige Fellknäuel Wink, das einerseits verrückt, aber auch logisch agiert.
Alle Lebensgefühle stehen die beiden neuen Freunde tapfer durch: Freude, Traurigkeit, Enttäuschung, Trost, Geborgenheit, Streit und Versöhnung. Alles was Hank seinen Eltern und dem Mädchen von nebenan nicht sagen kann, Wink darf es erfahren. Und Hank denkt sich etwas aus, wie er an Kürbisfleisch gelangt. Vielleicht bleibt dann Wink ja bei ihm. Wäre doch schön.