Nina Vogt-Østli: Der Tag wird kommen, Aus dem Norwegischen von Dagmar Lendt, Coppenrath Verlag, Münster 2014, 240 Seiten, €14,90, 978-3-649-61386-2

„Es kostet so viel Energie, nicht aufzufallen, nicht zu existieren. Ich habe tausend Dinge, für die ich meine Zeit besser verwenden könnte. Bücher lesen. Am Computer spielen…Vielleicht sind es genau diese Jahre, die mich das lehren, was im Leben zählt.“

Er geht jeden Tag zur Schule und weiß, Andreas mit seinem massigen Körper und seinem fiesen Lächeln wird ihm auflauern, ihn vor allen demütigen, verprügeln und niemand erhebt die Stimme für ihn. Der 15-jährige Hans Petter Hansen durchlebt diese Tortour seit Jahren. Früher ist seine Mutter noch in die Schule gelaufen, hat die Lehrer aufgescheucht, die Eltern angerufen, sich beschwert. Gebracht hat es gar nichts. Ganz langsam hat Hans Petter den Versuch unternommen, sich unsichtbar zu machen, einfach nicht aufzufallen, weder durch gute Noten, noch irgendwelche Aktivitäten. Er ist ein begabter Junge, doch in der Schule darf er das nicht sein, er stellt sich dumm. Sein Vertrauenslehrer Gunnar hat in einer Gesprächsgruppe alle Schüler vereinigt, die innerhalb der Schule Außenseiter aus unterschiedlichen Gründen sind. Ein hilfloser Versuch, den „Opfern“ von Mobbing und Ausgrenzung eine Stimme zu geben. Hans Petter kann darüber nur sarkastisch lästern, seine Mitschüler als „Missgeburten“ bezeichnen und sich verweigern. Wer ist schuldig am Mobbing? Die Opfer selbst? Hans Petters Blick auf die anderen, auch auf seine Mutter, ist geprägt durch eine gewisse herablassende Überlegenheit, einen Selbstschutz, den sich der Jugendliche zulegen musste, um innerlich nicht zu resignieren. Möglich auch, dass er einfach ein überhebliches Arschloch ist, das kaum Empathie für andere empfinden kann. Ähnelt er da nicht seinem Feind Andreas und kann man ihm das verdenken?

Und dann tauchen da diese Mails von einer gewissen Fera auf, die Hans Petter anfänglich mit Misstrauen liest. Im Chat offenbart sich das Mädchen als Person aus der Zukunft, die durch technische Raffinessen Kontakt zu ihm aufnehmen kann. Hans Petter hat keine Freunde und Fera, so verrückt sie sein mag, ist eine interessante Gesprächspartnerin, die offensichtlich so einiges über ihn und Andreas weiß.

Fera stammt angeblich aus dem Jahr 367 nach der Katastrophe, in der die Menschheit sich durch die Machenschaften eines Diktators beinahe an den Rand des Abgrunds manövriert hätte. In der neuen Gesellschaft, so Fera, habe die Menschheit von Anbeginn an den Nährboden für das Böse beseitigt. Doch was ist das Böse? Wie entstehen Verhaltensweisen, die Andreas gegen vorgeblich schwächere Schüler praktiziert?

Als sich der Vertrauenslehrer Gunnar sich dann in Hans Petters Mutter verliebt, weiß der Junge, dass er, wenn das herauskommt, in der Schule endgültig einpacken kann. Hans Petter rätselt an einer Lösung, er muss sich aus Andreas Schlinge winden und er muss etwas gegen Gunnar unternehmen.
Immer wieder chattet Hans Petter mit Fera, die abrupt unterbrechen muss, weil Erdbeben den Energiefluss verhindern. Der Jugendliche zweifelt nicht mehr an Feras zukünftiger Existenz. Er diskutiert mit ihr über alternative Lebensformen und spürt, wie wichtig ihr seine Meinung ist.

Aber dann explodiert Hans Petter völlig unkontrolliert mitten im Unterricht von Gunnar und beschimpft ihn als Perversen. Hier setzt Andreas an und plötzlich sind Hans Petter und er ein Herz und eine Seele, denn Andreas will sich an Gunnar mit Hilfe des aufgebrachten, von ihm unterdrückten Mitschülers rächen. Hans Petter reagiert bei aller Vorsicht erfreut über diese neue Verbindung zu Andreas. Er handelt genau so wie sein Feind und merkt nicht mal, wie zerstörerisch seine Aktion gegen Gunnar sein wird.

Fera wird in einem letzten Brief erklären, warum sie Kontakt zu Hans Petter aufgenommen hat. Sie hat seine Frage nach dem Namen des Diktators nicht beantwortet. Der Leser ist am Ende schlauer.

Die norwegische Autorin Nina Vogt-Østli hat einen aufreibenden, spannenden Roman über Gewalt und Gegengewalt geschrieben. Die Idee, eine Figur aus der Zukunft einzubauen, die als Diskussionspartner für Hans Petter fungiert, ist durchaus clever. Außerdem ist die männliche Hauptfigur, bei allem Tragischen was ihr zustößt, kein sympathischer Junge, auf dessen Seite sich der Leser sofort stellen würde. Erst im Gespräch mit Fera offenbart er vieles, was in ihm steckt. Was aus Hans Petter werden könnte, ahnt der Leser erst auf den letzten Seiten.