Melanie Raabe: Der Schatten, btb Verlag in der Verlagsgruppe Randomhouse, München 2018, 415 Seiten, €16,00, 978-3-442-75752-7
„Und da war noch etwas anderes, irgendwo in ihrem Hinterkopf. Etwas Dunkles, wie ein düsteres Wissen, dass in ihrem Unterbewusstsein vergraben dalag und darum kämpfte, mit den aktuellen Geschehnissen verknüpft und an die Oberfläche gespült zu werden. Der Zipfel einer Erinnerung?Eine Erkenntnis? Ein Gedanke?“
Norah Richter, eine zierliche kleine Frau Mitte 30, verlässt Hals über Kopf Berlin und ihren langjährigen Freund Alex. Sie findet als bekannte Journalistin schnell einen feste Stelle bei einer gut situierten Zeitschrift in Wien. Auch die Wohnungssuche ist kein Problem. Berufsbedingt kann Norah nie den Mund halten, wenn sie auf Ungerechtigkeiten, Demütigungen oder dumme Menschen trifft. Ihr Spezialgebiet sind soziale Themen, aber auch Interviews mit Künstlern. Als eine Bettlerin ihr prophezeit, dass sie am 11. Februar im Prater einen völlig fremden Mann auch noch mit Grund töten wird, beginnen die Verunsicherungen. Norah stellt fest, dass jemand in ihrer Wohnung war. Dinge fehlen, andere sind hinzugekommen. Sie erhält Textnachrichten auf ihrem Handy, dass eine Zeit lang auch mal verschwindet, von einer fremden Person. Nach und nach erfährt der Leser einiges aus Norahs Leben. Erzählt wird von einer labilen Phase mit Drogen, von ihrer Freundschaft zu Coco, einer Frau, die extrem körperlich und seelisch verletzt wurde, ohne dass der Peiniger angeklagt wurde und von Valerie, ihrer Jugendfreundin, die sich als Teenager umgebracht hat. Im Schatten steht eine Person, die Norah schaden will. Nun ist sie als Journalistin eine gewisse Aggression gewohnt, da nicht alle ihre Artikel über Personen positiv enden. Sie sucht den Mann auf, den sie laut Aussage der Bettlerin, die inzwischen tot aufgefunden wurde, ermorden wird. Dieser scheint einiges über sie zu wissen und doch ergeben sich keine wahren Schnittstellen. Offenbar zieht Norah Frauen an, denen sie nicht helfen kann, ob es nun Valerie oder Coco ist.
Als Norah dann eine Waffe in ihrer Wohnung findet und der 11. Februar, der Todestag ihrer Freundin Valerie immer näher rückt, zieht sie die Reißleine. Sie informiert ihre Freunde und sagt doch nicht ganz die Wahrheit, denn sie ahnt, wer da im Schatten des Riesenrades steht und auf sie wartet.
Die Konfrontation mit dem Tod, der Norah auf all ihren Wegen durch Wien begegnet, ist ein arg ausgetretenes Sujet und wabert durch den Thriller, der nie wirklich so spannend wird, dass man ihn nicht mehr aus der Hand legen kann. Das Spiel mit dem Unterbewusstsein, der Schwere einer Schuld, dem Eindringen in die Psyche eines Menschen und eine Prophezeiung, die ihn wie ferngesteuert in sein Unglück laufen lässt, überzeugen kaum. Ein Zauberer, ein Stoffkaninchen in der Wohnung, rohe Gewalt gegen Frauen und Manipulationen ohne Ende, all dieses erinnert an Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer“. Allerdings steckt hinter diesem literarischen Meisterwerk eine viel tiefere Botschaft. Bei Melanie Raabe zielt der wahre Hintermann auf die persönlichen Schwächen einer Person und will ein Exempel statuieren:
„Bei jedem Menschen gibt es etwas – eine Begebenheit, eine Beziehung, ein Ereignis, das ihn definiert, ihn antreibt, ihn ausmacht. Man muss diese eine Sache finden, dann hält man denjenigen in der Hand.“
Wie Abziehbilder laufen Melanie Raabes Figuren ohne ein Klischee auszulassen durch die Handlung, ihr Handeln ist vorhersehbar, sie überraschen nicht und dass Nora ihren Widersacher nicht erschießen wird, ist relativ klar.
Das schmachtende Happy End wirkt am absurden inkonsequenten Ende wie aufgesetzt, als sei die Entscheidung, den Freund zu verlassen genauso unsinnig, wie ihn wieder zu kontaktieren.
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