Catherine Bruton: Der Nine – Eleven – Junge, Aus dem Englischen von Dietmar Schmidt, Baumhaus Verlag, Köln 2011, 394 Seiten, €14,99 978-3-8339-0032-7
„Also mache ich mit. Denn es ist nur ein Spiel, was soll da schon passieren?“
Bens Vater, Andrew Evans, war vor zehn Jahren zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort – am 11. September 2001 im World Trade Centre in New York. Sein jetzt 12-jähriger Sohn Ben Evans, der mit der Mutter im englischen Birmingham lebt, wird immer nur der Nine-Eleven-Junge genannt. Diese Ferien verbringt Ben bei den Eltern seines Vaters. In der Straße der Großeltern lebt die pakistanische Familie Muhammed, die der Großvater abfällig als „die Orientalen“ bezeichnet. Die Tücken beim multikulturellen Zusammenleben und die Traumatisierungen noch ein Jahrzehnt nach dem Anschlag thematisiert Catherine Bruton vor dem Hintergrund einer Kinderfreundschaft.
Die äußerst fantasiereiche, wie ziemlich wortgewandte, streitbare und altkluge Priti Muhammed, sie ist ein Jahr jünger als Ben, stellt sich gleich bei dem neuen Jungen vor und hofft, dass er Zeit für sie hat. Bens Opa hat so seine Zweifel und kann es sich nicht verkneifen, Ben darauf aufmerksam zu machen, dass „diese Leute“ seinen Vater getötet haben. Aber für Ben spielen diese Vorurteile keine Rolle. Er mag das ständig redende Mädchen, dass zum einen zu viel in den psychologischen Fachbüchern der Mutter gestöbert hat und zum anderen mit den Begriffen Ehrenmord, Terrorzelle und Bombenattentäter um sich wirft. Zara, ihre ältere Schwester, hat sich in den Byker Tyreese verliebt. Das dürfen die älteren Brüder Mic und Shakeel nicht wissen. Wenn Zara nun auf Priti aufpassen muss, dann besticht sie sie und Priti achtet darauf, dass die Brüder Zara nicht mit ihrem Freund erwischen. Für Ben und Priti ist das wie ein Spiel. Sie sind FBI-Agenten und kommen, ohne böse Absicht, auf die blödesten Ideen. Wenn Shakeel, der bald heiraten wird, ihnen zeigt, wie er ein Radio zusammenbaut, dann vermuten sie gleich, er würde heimlich eine Bombe basteln.
Ben, der Erzähler der Sommerereignissee, hat viel Fantasie und zeichnet seine Freunde und Erlebnisse in Comicstrips. Was bei den Kindern sich jedoch wie ein harmloses, spannendes Abenteuer anhört, kommt bei den Erwachsenen, besonders bei Onkel Ian ganz anders an. Onkel Ian ist der Bruder von Bens Vater und er scheint nicht nur durch die Trennung von seiner Frau verbittert zu sein. Jed, sein herrischer Sohn, bleibt ebenfalls bei den Großeltern in diesen Ferien. Auch wenn Jed mit seiner lauten, aggressiven Art nicht gerade sympathisch wirkt, freundet sich Priti mit ihm an, denn sie kann so schnell nichts schrecken.
Die Balance zwischen Spiel und Ernst gerät ins Wanken als bei der Hochzeit von Shakeel das Nachbarmädchen Stevie verschwindet. Bereits im Vorfeld gab es schon Messerstechereien zwischen den Bykern und den pakistanischen Jungen.
nAls Priti dann eine SMS an Ben schickt und behauptet, ihr Bruder Shakeel sei mit einer Bombe am Körper, auf dem Weg zu einer Gedenkfeier für Stevie, eskaliert die Handlung, denn Jed redet mit einem Polizisten, der gar nicht anders kann als diese Information ernst zu nehmen.
Catherine Bruton zeichnet das Schicksal eines Jungen, dessen Familie mit den Flugzeugattentaten verbunden ist. Sie haben den Sohn, Bruder und Ehemann verloren und jeder geht auf seine Weise mit dem Verlust um. Bens Mutter verfällt in ein Helfersyndrom und verausgabt sich, Andrews Vater hält sich an Horrormeldungen fest und Ian vergräbt sich in seinem Moslemhass.
Ben steht eigentlich außen vor, denn er hat seinen Vater nie richtig kennengelernt. Für ihn ist der Beiname Nine-Eleven-Junge eher eine Last, denn es werden Konflikte an ihn herangetragen, die er innerlich gar nicht austragen muss. In einer dialogreichen und lebendigen Handlung zeigt die englische Autorin eine kleine Gemeinschaft, in der Unverarbeitetes, aber auch Vorurteile und Unwissenheit aufeinanderprallen und letztendlich eskalieren. Die Kinder spielen das unbegreiflich Schreckliche nach, das, was sie von den Erwachsenen gehört haben oder in den Medien gesehen.
Auch wenn die Geschichte aus Bens Sicht erzählt wird, ist die Handlung mit vielen Konflikten überladen, die ein Kind wie Priti vielleicht verstehen könnte, aber nicht unbedingt ein Leser im Alter von 12 Jahren.
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