Jan Weiler: Der Markisenmann, Heyne Verlag, München 2022, 336 Seiten, €22,00, 978-3-453-27377-1

„Man muss aber auch anmerken, dass diese Exemplare recht günstig weggingen, weil mein Vater es nicht mit sich vereinbaren konnte, erst thälmannartige Volksreden zu halten und dann fünfhundert Euro für eine Markise zu verlangen. Es blieb meistens bei hundertfünfzig Euro, manchmal sogar darunter.“

Ronald Papen ist der Markisenmann aus dem Osten, der im Jahre 2005 die Restbestände der DDR – Markisen ( Dekor Mumbai und Kopenhagen – „schwierige Optik“) in schreienden wie unerträglichen Farben und Mustern als Vertreter von Tür zu Tür im Ruhrgebiet an den Mann oder die Frau bringen muss. Dafür wohnt er in einem Gewerbegebiet in einer Lagerhalle und scheint sich auf eine gewisse Art zu kasteien, denn das Verkaufen ist alles andere als sein Talent. Seine fünfzehnjährige Tochter Kim, die auch die Erzählerin ( Sie ist heute 31 Jahre alt und blickt auf ihr 15. Lebensjahr zurück. ) dieser doch sehr skurrilen Geschichte ist, hat Papen seit gut dreizehn Jahren nicht gesehen. Nun soll sie zur Strafe die Sommerferien, immerhin sechs lange Wochen, mit dem unbekannten Vater verbringen. Ihre gleichgültige Mutter, der verhasste, steinreiche Stiefvater Heiko und der extrem unsympathische jüngere Halbbruder Jeff verbringen derweil ihre Ferien in Miami. Allerdings hat sich die wohlstandsverwahrloste Kim auch so einiges geleistet. Immerhin könnte man ihr neben der ganzen Schulschwänzerei unterstellen, dass sie versucht hat, ihren Bruder anzuzünden, wobei das wirklich nur ein Unfall war.
Kim wird nun beim Vater abgeladen und würde am liebsten sofort diesen Schrottplatz bei Duisburg verlassen. Doch nach und nach nähern sich der hilflose, aber auch begeisterungsfähige Mann und das eigentlich ziemlich einsame junge Mädchen an. Sie hört bei den Autotouren die schrecklichen DDR-Bands wie Puhdys oder Stern Meißen und er, der aus Beelitz bei Berlin stammende ehemalige Ossi, beginnt langsam, sein Kind kennenzulernen.
Papen ist jedenfalls nicht in der Lage, seine sowieso völlig geschmacklosen Markisen zu verkaufen. Da kommt jetzt Kim ins Spiel und zeigt dem Vater als Türöffnerin, wie man im Westen die Leute mit glaubwürdigen Lügen über den Tisch zieht. Beide entwickeln ein Geschäftsmodell bei dem Papen in die Gewinnzone überwechselt. Nebenbei lernt Kim die Kumpels von Papen, alle ebenfalls nette aber völlig unfähige Typen in den Vierzigern kennen, die unheimlich gern wetten. Und dann ist da noch der gleichaltrige Alik, ein Außenseiter mit seiner sibirischen Mama und dem tunesischen Vater und seinem Lieblingsthema: Recycling.
Wie diese sechs Wochen zu den besten Sommerferien für Kim werden, davon lässt Jan Weiler seine Hauptfigur auf eine sehr komische Weise erzählen.
Warum der Ossi mit diesen sinnlosen Markisen, bei denen nicht mal die Halterungen und Schrauben etwas taugen, durch die westlichen Landen reist, beichtet der beschämte Papen erst am Ende seiner Tochter. Und immer wenn es um die DDR geht, ist die Staatssicherheit nicht weit. Und ohne es zu ahnen, befriedet der Vater auch die Spannungen, die zwischen Kims Eltern und dem vielleicht doch nicht ungeliebten Kind entstanden sind.

Jan Weiler erzählt eine Wohlfühlgeschichte, über Menschen aus der DDR, die in den Westen übergewechselt sind und nun, zumindest Papen, sich versuchen von einer Schuld freizukaufen.
Witzig, unterhaltsam und wie immer skurril!