Alain de Botton: Der Lauf der Liebe, Aus dem Englischen von Barbara von Bechtolsheim, S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2016, 288 Seiten, €20,00, 978-3-10-002443-5
„Wenn wir einen Menschen wirklich lieben, kommen wir gar nicht auf die Idee, ihn oder sie ändern zu wollen. Das romantische Konzept von Liebe ist in dieser Hinsicht eindeutig: Zu wahrer Liebe gehört, den Partner in seinem ganzen Wesen anzunehmen.“
Doch wie großzügig geht man wirklich mit Schwachstellen in einer langen Ehe um? Rabih Khan lernt seine große Liebe, Kirsten McLelland, in Edinburgh kennen. Er musste aus beruflichen Gründen nach Schottland umziehen, denn als Architekt fand er nur hier in der Stadtplanung einen Job. Sie ist als Abteilungsleiterin eine starke Frau. Sie sind äußerlich ziemlich gegensätzlich, er hat eine olivfarbene Haut, der Vater ist Libanese, die Mutter Deutsche, allerdings schon früh verstorben. Sie ist blass und dünnhäutig. Kirsten ist bei ihrer Mutter groß geworden, der Vater hat die Familie einfach so verlassen, da war die Tochter noch klein.
Ist zu Beginn einer Beziehung alles noch rosig, so entstehen die ersten Verwerfungen, wenn Freunde sich dazugesellen und Kirsten mit ihnen über ihren neuen Freund lacht. Alles nur Spaß, und doch verdient sie mehr als er und das kann wehtun. Meistens sehen sie Freunde oder Bekannte von ihr, denn Rabihs Freuden verteilen sich über die Welt. Er hat in Beirut, in Barcelona oder London gelebt. Spannungen treten auf, wenn Rabih in der Angst lebt, seine Arbeit zu verdienen, Kirsten sich in sich verschließt, wenn Probleme auftreten. Er würde sich gern nochmal der Architektur zuwenden, aber bestärkt ihn nicht. Er glaubt, er müsse ihr mehr bieten, denn allen Freunden geht es finanziell eindeutig besser, die Urlaube sind exotischer und die Wohnungen größer. Streitereien verderben zeitweilig die Atmosphäre, bis sich wieder beide auf das Wesentliche konzentrieren.
Dann kommen die Kinder, erst ein Mädchen, dann ein Junge, der Rabih und Kirsten wieder auf die einfachen Dinge des Lebens mit der Nase stößt. Lieben die beiden ihre Kinder sehr, so geht ihr Umgangston im Alltagsstress unter.
Durch die Verunsicherungen und Ängste verlieren sich beiden aus den Augen und genießen kaum, was sie haben. Das wird Rabih bewusst, als er sich einen One-Night-Stand bei einer Konferenz in Berlin einlässt. Eine Frau, die ihm sagt, was für ein guter Kerl er ist, tut gut, könnte aber alles, was er sich aufgebaut hat, zerstören.
Alain de Botton erzählt vom alltäglichen, kaum spektakulären Leben einer ganz normalen Familie. Steht zu Beginn die Liebe als Wunder im Mittelpunkt, so geht sie berauschend schnell unter im Alltagstrubel zwischen Geldnöten, Vorwürfen, banalen Konflikten, Machtkämpfen, Kindergeschrei, keiner Zeit für Zweisamkeit und Sex.
Und doch lesen sich die kursiven Passagen zwischendurch, die die Liebe und ihre Entwicklungsstufen nach und nach analysieren, wie ein Balsam für die Seele. So, ja genau so sollte man eine Ehe führen. Doch grau ist alle Theorie. Denn es gibt diese Momente, in denen man all seine Wut, wie ein Kleinkind auf seinen Partner orientiert. Und dann, auch das ist ein guter Rat, sollte man als Gegenpart ein absolut schlechtes Gedächtnis haben und irgendwann miteinander wieder richtig lachen können.
„Sich nicht durch Angst kleinkriegen zu lassen, andere nicht aus Frustration zu verletzen, der Welt nicht zu gram zu sein, dass sie so achtlos Verletzungen austeilt, nicht völlig den Verstand zu verlieren und die Schwierigkeiten eines Ehelebens irgendwie mehr oder weniger angemessen durchzustehen – dies ist der wahre Mut, dies ist ein Heldentum ganz eigener Art. Und für einen kurzen Augenblick auf den Hügeln eines schottischen Bergs in der Spätnachmittagssonne – und danach noch manches Mal – meint Rabih zu spüren, dass er mit Kirsten an seiner Seite stark genug ist für alle künftigen Herausforderungen des Lebens.“
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