Ursula Dubosarsky: Der kürzeste Tag des Jahres, Aus dem Englischen von Andreas Steinhöfel, Ueberreuter Verlag, Berlin 2013, 155 Seiten, €12,95, 978-3-7641-7006-6
„Wer konnte in einer Großstadt voller Raubtiere bedrohter sein als ein zerbrechlicher Mann und ein zwölfjähriges Kind?“
Alles beginnt mit der Nachricht, dass Samuel an seinem zwölften Geburtstag plötzlich verschwunden ist. Sein Großvater Elias hat am gleichen Tag wie er Geburtstag, am 21. Juni, in Europa der längste Tag des Jahres, in Australien der kürzeste Tag des Jahres. Niemand in der Familie hat eine Ahnung, was mit dem Jungen geschehen sein könnte. Samuel ist ein sehr gewünschtes Kind, denn Hannah konnte lang keine Kinder bekommen. Ihr Mann, Elkanah, ein extrovertierter Opernsänger, hat bereits aus erster Ehe vier Töchter. Nach dem Besuch bei Pearl, seiner Ex-Frau, ist wieder ein Mädchen unterwegs, Theodora, Geschenk Gottes. Doch Pearl, die in Sydney wohnt, ist mit dem fünften Kind völlig überfordert und so nimmt Elkanah Theodora mit nach Melbourne zu Hannah. Ein Jahr später wird Samuel geboren. Die beiden Kinder sehen sich unheimlich ähnlich.
Samuel ist ein ängstliches Kind, das vor dem Vater ab und zu auch Furcht empfindet. Theodora dagegen ist wortgewandt und aufgeweckt. Seit ihrem fünften Geburtstag schreibt sie alles auf, was sie in ihrer näheren Umgebung beobachtet. Später verschlüsselt sie ihre Texte und nutzt dazu die hebräische Sprache. Das Schreiben wird für das Mädchen zur Sucht.
Samuel fühlt sich sehr zu seinem jüdischen Großvater hingezogen. Elias ist „ein in sich versteckter Mann, der schreckliche Dinge erlebt hatte“. Er stammt ursprünglich aus München. Auch wenn Theodora weiß, dass Elias Samuel mehr liebt als sie, besucht sie ihn gern. Er versorgt die Kinder mit Feinkost und liest ihnen gern vor.
nDann lernt Hannah, die viel Zeit auch allein verbringen muss, da ihr Mann als Sänger unterwegs ist, Randolph Butcher kennen. Es entwickelt sich eine harmlose Freundschaft und ausgerechnet Pearls Vater, Rhody, redet Elkanah, den er eigentlich gar nicht mag, ein, dass seine Frau ihn verlassen könnte. Elkanah erzählt der Familie darauf hin, dass sie für drei Jahre in Philadelphia leben werden.
Samuel ist totunglücklich, denn er will auf keinen Fall seinen Großvater verlieren. Dieser weiß als Jude, was es bedeutet, dem Heimatort für immer den Rücken zu kehren. Er will dem Enkel diese Reise, die Elkanah sich auch nur ausgedacht hat, ersparen.
Elias plant darauf hin, die Entführung des Enkels nach Samoa und ahnt nicht, welche Krankheit tief im Inneren des Kindes schlummert.
Ursula Dubosarsky erzählt in ihrem unverkennbaren Ton von der engen, liebevollen Beziehung zwischen Enkel und Großvater. Die verworrenen Ereignisse führen dazu, dass der Großvater sein Schweigen über die Vergangenheit aufgibt und endlich, nach einer langen Zeit der Verdrängung, dem Enkel von seiner Familie und seiner Vergangenheit erzählt. Ungemein stark sind die Charaktere, die die Autorin in ihrer Romanhandlung lebendig werden lässt. Nie geht die australische Autorin ins Detail, vieles überlässt sie der Vorstellungskraft des Lesers und doch fesseln ihre Geschichten ungemein, denn sie sind lebensnah und feinfühlig geschrieben.
Als Samuel gesund wird, schenkt Theodora ihm ein Notizbuch und er beginnt zu schreiben.
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