Emmi Itäranta: Der Geschmack von Wasser, Aus dem Finnischen von Anu Stohner, Deutscher Taschenbuch Verlag, Reihe Hanser, München 2014, 338 Seiten, €14,95, 978-3-423-65009-0

„Geheimnisse höhlen uns aus, wie Wasser das Felsgestein aushöhlt. An der Oberfläche mag sich nichts ändern, aber die Dinge, über die wir mit niemandem reden können, reiben uns auf, bis sich unser Leben um nichts anderes mehr dreht und sich mehr und mehr verändert.“

Staubtrocken sind die Straßen der Skandinavischen Union, die Flüsse sind ausgetrocknet, der Meeresspiegel ist gestiegen, Teepflanzen wachsen, die Luft flimmert, Bremsen und Fliegen umschwirren alles. Es ist eine bedrückende Zeit, die vom Militär streng beherrscht wird. Die Vorstellung, den Wasserhahn aufzudrehen und das flüssige Nass einfach nur laufen zu lassen, bringt die Menschen um den Verstand, denn Wasser ist absolute Mangelware. Meereswasser wird abgekocht, vorsichtig nippen die Menschen am Wasser, um seinen Geschmack zu erkennen, damit sie nicht betrogen werden.

Noria Kaitio, die Ich-Erzählerin, will der Tradition gehorchend, Teemeisterin werden. Sie ist bei ihrem Vater, ihrem Meister, in die Lehre gegangen und steht kurz vor ihrer Prüfung. Norias Vater jedoch weiht seine 17-jährige Tochter in ein Geheimnis ein, er kennt unweit des Ortes in einem Fjell eine Höhle mit einer Wasserquelle. Eine versteckte Leitung führt in sein Haus. Gedeckt von Major Bolin kann der Meister ohne Furcht vor den Wasserwächtern seiner kontemplativen Tätigkeit nachgehen. Die Familie von Noria ist nicht auf die monatlichen Wasserrationen angewiesen. Aber Wasservergehen werden hart bestraft. Ein blauer Kreis erscheint auf den Häusern der Täter, sie dürfen diese nicht mehr verlassen und werden exekutiert.

Sanja, die beste Freundin von Noria, sammelt mit Leidenschaft historische Gegenstände aus der „Alten Welt“, die sich auf den Müllhalden türmen. Blutige Ölkriege haben die Erde zerstört und als das Öl aufgebraucht war, gab es die Zeit der Dämmerung und danach nur noch den Kampf ums nackte Überleben.
Sanja ist technisch begabt und findet seltsame silberne Scheiben, die sie zum Klingen bringt und zum ersten Mal etwas von der Jansson-Expedition hört.

Als der neue Kommandeut Taro sich zur Teezeremonie anmeldet, wird deutlich, dass er die Arbeit des Meisters missachtet und die Wasserverschwendung bei der Zubereitung der Tees kritisiert. Bolins Einfluss schwindet und Taro lässt auf dem Grundstück der Kaitios ohne Rücksicht auf die Bausubstanz des Hauses nach Wasservorräten suchen. Er nimmt alles mit, auch die Bücher der Teemeister aus zehn Generationen. Norias Mutter, eine Wissenschaftlerin, verkraftet die bedrückende Atmosphäre im Ort nicht mehr und begibt sich nach Xingjing an die Uni.

Nachdem Noria unter schwierigen Bedingungen und mit harscher Kritik doch ihre Prüfung bestanden hat, stirbt der Vater.
Noria versucht nun, allein das Werk ihres Vaters fortzuführen. Und sie zeigt Sanja die geheime Quelle, denn ihre kleine Schwester ist ernsthaft erkrankt und benötigt viel Wasser, um ihre Medikamente aufzulösen. Sanja ist außer sich, dass Noria dieses Geheimnis für sich behalten hat und den anderen nicht hilft. In der Höhle finden die beiden jungen Frauen erneut Silberscheiben und erhalten nun genauer Auskunft über die Janssen-Expedition. Es besteht die Möglichkeit, dass es im Verlorenen Land, einer verbotenen Zone, noch Wasservorräte gibt. Noria fühlt, dass sie diese Information nicht ignorieren kann und bittet Sanja sie auf die Reise dorthin zu begleiten. Aber Sanja konnte nicht schweigen und immer mehr Menschen kommen, um Noria um Wasser zu bitten. Beide Frauen werden in der Höhle mit der Quelle entdeckt, und ihr Plan scheint zu scheitern. Doch dann erscheinen am Haus von Sanja Soldaten und an der Haustür von Noria der blaue Kreis. Kommandant Taro unterbreitet Noria ein Angebot, das Sanja angeblich bereits akzeptiert habe. Ihr Leben gegen Spionagetätigkeiten für die Armee. Noria lehnt ab. Hat Sanja sie wirklich verraten?

Überraschend abrupt ist das tragische Ende, denn Noria bereitet ihre letzte Teezeremonie vor ihrem Tod vor.
Noria notiert alles in den Büchern der Teemeister, sie schreibt huldigend, ja fast pathetisch von der Kraft und Magie des Wassers, ihren Eltern, den Geschehnissen im Dorf und was sie mit Sanja erlebt hat. Erzählt wird eine ökologische Dystopie, denn alles was Emmi Itäranta für ihren Zukunftsroman an Konflikten anspricht, ist in unserer Gegenwart angelegt: Wasserknappheit, Anstieg der Meeresspiegel, Klimaerwärmung und Auseinandersetzungen um natürliche Ressourcen. Das Motiv des Wassers in seiner Wandelbarkeit schwingt in allem mit und vor allem geht es um existentiell- moralische Fragen, u.a. wem gehören die Schätze der Erde.

„Nicht alles, was auf der Welt ist, gehört den Menschen. Tee und Wasser gehören nicht den Teemeistern, sondern umgekehrt: Die Teemeister gehören dem Wasser und dem Tee. Wir sind die Hüter des Wasser, aber noch mehr sind wir seine Diener.“\r\n\r\nDie finnische Autorin berichtet auf ruhige Weise, obwohl immer eine unterschwellige Anspannung im Erzählten mitschwingt. Im Gegensatz zum mühseligen Alltag der Dorfbewohner kann der Teemeister einer kontemplativen Lebensweise nachgehen, er bewahrt die asiatischen Traditionen und Weisheiten, die in der Welt des Mangels scheinbar überlebt sind.
Emmi Itäranta wählt eine poetische-bildreiche Sprache für ihre linear erzählte Geschichte, in der es auch um einen möglichen Verrat zwischen den Freundinnen geht.

Viele Dystopien, ob von Ally Condie, Susanne Collins, Susan Beth Pfeffer oder Ursula Poznanski, benötigen, um auserzählt zu werden, mindestens drei Bände. Emmi Itäranta hat sich offensichtlich dagegen entschieden. Die mögliche Fortsetzung überlässt die Autorin der Fantasie des Lesers.

„An diesem Morgen ist die Welt Staub und Asche, aber nicht ohne Hoffnung.“