Lindsey Lee Johnson: Der gefährlichste Ort der Welt, Aus dem amerikanischen Englisch von Kathrin Razum, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2017, 303 Seiten, €18,99, 978-3-423-28133-1
„Ihr war klar, dass der Junge ihretwegen tot war. Sie hatte eine Reihe von Entscheidungen getroffen, die ihr im jeweiligen Moment unbedeutend erschienen war, die aber alle zusammen Tristans Ende herbeigeführt hatten. Tristan, der ein ganz eigener Mensch gewesen war. Ein Mensch, das sah sie jetzt, der gar nicht so anders gewesen war als sie.“
Der dreizehnjährige Tristan Bloch zeigt seine Gefühle ganz ungeschützt. Er schreibt dem Mädchen Abigail von seiner Liebe zu ihr und ahnt nicht, was er damit auslöst. Tristan ist ein schwaches Kind, das die anderen kaum beachten und wenn dann mit Geringschätzung. Seine Mutter stürmt in die Schule des kleinen Ortes in der Nähe von San Francisco, beschwert sich und alle lachen insgeheim darüber. Abigail ist entsetzt, wie kann dieser Junge, von dem sie den selbst gefalteten Kranich angenommen hatte, ihr so nah kommen. Ohne nachzudenken, zeigt Abigail den Brief ihrer Freundin, beide bringen ihn dem aus Tristans Sicht größten „Arschloch“ der Schule überhaupt und es vergeht kaum Zeit und alles ist in Facebook breitgetreten. Ein Shitstorm bricht über den sensiblen Jungen zusammen und am Ende des Tages wird er sich von der Golden Gate Bridge stürzen.
Lindsey Lee Johnson erzählt nun zeitversetzt von der achten bis zur zwölften Klassse von den Mitschülern von Tristan, die abgesehen von Abigail über den Tod des Jungen kaum reflektieren. Sie kämpfen mit den Erwartungen der reichen anwesenden wie abwesenden Eltern, die durchaus auf ein arbeitsames Leben schauen können, mit ihren eigenen Lebensvorstellungen und vor allem um die Anerkennung in der Clique, aus der sie schnell fliegen könnten. Sie wechseln die Schulen und doch herrscht überall das Hackprinzip, ob klug, sportlich oder einfach nur mittelmäßig. Sie suchen nach Zuneigung und Liebe bei den falschen Menschen und stehen oftmals kurz vorm Abgrund. Und so fragt sich der unscheinbare Dave Chu, das Einzelkind, was an einem ganz normalen Beruf und einem Leben ohne Sorgen so anstößig sei. Er schafft intellektuell einfach den wichtigsten Test nicht, um nach Berkeley zu kommen. Mögen seine Eltern ihn für einen Versager halten, zumal seine Mutter beruflich alles aufgegeben hat, um sich nur ihrem Kind zu widmen. Für Dave bleibt nur der Betrug, bei dem Nick ihn unterstützen wird. Als die Eltern Dave ein schnelles Auto überlassen, hat er nichts besseres zu tun, als volltrunken mit seinen Mitschülern gegen den nächsten Baum zu rasen. Für die Tänzerin Emma, die schwer verletzt den Unfall übersteht, endet ein Lebenstraum.
Was treibt Jugendliche an? Wie sehr stehen sie unter dem Einfluss der anderen, den digitalen Medien oder vor allem, welche Rolle spielen die Eltern und Lehrer?
Berührend liest sich der Entwicklungsweg von Abigail, für die der Tod des Jungen, der in sie verliebt war, ihre Teenagerzeit stark geprägt hat. Bedrückend sind die Schicksale der Jungen und Mädchen, die sich selbst für den Nabel der Welt halten und scheitern oder immer irgendwie durchkommen.
Es ist die Dynamik der Geschichte, die Entwicklung der widersprüchlichen Figuren und der feinfühlige Blick auf die Jugendlichen, den Lindsey Lee Johnson mit allen Konsequenzen wagt und damit ein Bild von der amerikanischen Gesellschaft entwickelt, das zu denken gibt.
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