Marie-Aude Murail: Der Babysitter-Profi, Aus dem Französischen von Tobias Scheffel, KJB, Frankfurt a.M. 2013, 317 Seiten, €12,99, 978-3-596-85490-5
„Ich schwor mir gerade noch, dass ich nie Familienvater werden würde, als ich auch schon auf dem Teppichboden einschlief.“
Im Mittelpunkt dieses Romans steht Ernest. Zu Beginn ist er 15 Jahre alt und ständig pleite, aber er hätte zu gern den Computer, den alle haben. Er muss arbeiten, dann gibt ihm seine Mutter die Hälfte des Geldes hinzu. Bei seiner Suche nach einer Tätigkeit neben der Schule, greift er einfach auf das zurück, was seine Schulkameradin macht, sie ist Babysitter. Was kann daran schon so schwer sein?
Und Ernest meistert seine neue Aufgabe mit Bravour. Er ist der bewunderte „Rambo der Kinderzimmer“, er sorgt sich um die Kleinen, leiht sich Bücher in der Bibliothek aus und stellt sich gedanklich bereits seine eigene Familie zusammen. Ernest wächst so sehr in diese Arbeit mit Babys wie Kleinkinder hinein, dass er irgendwann feststellt, er will gar keinen Computer, er will einen Bruder.
Zwei Jahre später ist seine Mutter wirklich schwanger und das Drama beginnt, denn die Familie ohne Vater, den hat seine Mutter bereits hinausgeworfen, hat eklatante Geldprobleme. Als Designerin findet Ernests Mutter kaum Arbeit, die Schwangerschaft ist schwierig, vor allem nachdem Strom und Telefon abgestellt sind.
Als der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht, kann Ernest ihn gerade noch davon abhalten, ins Schlafzimmer seiner Mutter zu stürmen. Ernest sollte sich wieder eine Arbeit suchen, denn die zu zahlenden 3000 Euro Umsatzsteuer fallen nicht vom Himmel. Da fällt Ernest Valentin ein, sein Onkel und da Ernest den Kanal voll hat, jeden Tag Ravioli zu essen und lädt er sich bei Valentin ein. Valentin arbeitet als Kunstzeichner und kann erst einmal die ausstehenden Rechnungen begleichen.
Ernest muss sich aber nicht nur um seine Mutter kümmern, die eigentlich liegend die Schwangerschaft austragen sollte, er arbeitet auch fürs Abitur und ist ein emsiger Bibliotheksbesucher. Um sich auf sein Philosophiethema vorzubereiten, liest er die Romane von Barbara Cartland. In diesen Herz-Schmerz-Romanen sind die Protagonistinnen zu Beginn ziemlich arm, am Ende sehr reich und wodurch? Durch eine Heirat. Alles klar, Ernests Mutter muss heiraten.
Allerdings ist seine Mutter für solche Optionen kaum zu haben, denn „Meine Mutter ist zu feministisch für die Romane von Barbara Cartland“. Da sie nie das macht, was man ihr sagt, verlässt sie das Krankenhaus, um sich angeblich um Ernest zu kümmern und muss wieder in die Notaufnahme, denn Justine kommt nun viel früh. Im gesamten Chaos springt der treu sorgende Valentin ein. Er stellt seine Wohnung zur Verfügung, Ernests Wohnung wurde bereits vom Gerichtsvollzieher ausgeräumt, und besucht die winzig kleine Justine. Ernests Mutter passt das zwar alles nicht, aber sie fügt sich und gewinnt, auch wenn sie das nicht zeigen will, Valentin richtig lieb.
Aber Valentin hat es wirklich nicht so einfach mit Ernests Mutter, die mit ihrer Idee für eine neue Babytragetasche Karriere machen will. Valentin jedenfalls, und auch hier gibt es immer wieder Spannungen, ist genau der richtige Papa für Justine und so wehrt er sich auch gegen die Pläne Justine in eine Tagesbetreuung zu geben.
Außerdem hat sich ein verflossener ehemaliger Freund bei Ernests Mutter wieder eingefunden und Ernest erhält die Nachricht, dass seine erste Nacht mit seiner Freundin Martine Folgen haben könnte. Dabei arbeitet er doch gerade an seinem neuen Berufsbild, er will Comiczeichner werden.
Schon schwierig, das Erwachsenwerden, denn Ernest beobachtet dass , „die Liebe eine üble Angelegenheit ist“ oder doch nicht?
Mit einem gelassenen Blick auf diese chaotische französische Patchworkfamilie erzählt Marie-Aude Murail aus der Sicht eines Jugendlichen vom Alltagswahnsinn.
Ernest findet seinen Weg, auch wenn alles, was die Erwachsenen so verzapfen, ihm ein Buch mit sieben Siegeln bleibt.
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