Noemi Schneider: Das wissen wir schon, Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag, Berlin 2017, 199 Seiten, €18,00, 978-3-446-25507-4

„Wir haben Lebensfreude-Duschgel, Alpträume, Happy-End-Toilettenpapier, Stressfrei – Lotion, kaputte Fernseher, Heimweh nach der Zukunft, keinen Grund, uns zu beschweren, und nichts zu verlieren außer unserer Angst. Kein Wunder, wir waren überall und kommen nirgends an.“

So ergeht es auch der Ich-Erzählerin, die in München lebt und mit ihren Nachbarn Fini und Amadeus die Abende verbringt. Sie hat Film studiert und auch einiges probiert, aber nie mit Erfolg. Sie ist wütend, desillusioniert, verfasst Projektbeschreibungen am Vormittag an ihrem Arbeitsplatz, der Kasse eines verpackungsfreien Supermarktes. Sie möchte weder in der Produktionsfirma von ihrer Patentante Monika, die den „Bergdoktor“ verzapft, arbeiten, noch irgendwo anders Kabel tragen. Jegliches Gespräch mit Redakteuren endet ohne Ergebnis und ihre Wohnung hat sie auch noch an eine Unternehmensberaterin vermietet. Eigentlich möchte sie sich bei ihrer Mutter auf dem Land im Gartenhaus verkriechen, aber hier sitzt bereits Mustafa, der Patensohn der Mutter und verteidigt sein kürzlich gegründetes Kalifat.

Die Erzählerin und ihre Mutter, die ohne Handy oder Computer lebt, sprechen nicht viel miteinander, denn die Mutter rettet Zeit ihres Lebens die Welt. Sie hat sich wenig um die Tochter gekümmert, dafür wohnen jetzt dankbare Flüchtlinge in ihrem Haus und sie hat Mustafa aufgenommen, obwohl dieser eigentlich als Dschihadist in die Türkei abgeschoben werden sollte. Offenbar hat die Mutter irgendein Ding mit dem Innenminister, genannt Toni, zu laufen, dass Mustafa trotz Hungerstreik in Ruhe gelassen wird. Die Müttergeneration jedenfalls kennt keine Angst, sie sind die starken Frauen, die sich scheiden lassen und immer wieder von vorne anfangen können und die Erzählerin auslachen, die von einer Auszeit redet. Die Erzählerin betrauert eher ihren toten Vater, der sie großgezogen hat und sie sucht nach einer Aufgabe, die sie ausfüllen könnte. Betrachtet sie ihre Freundinnen, die in Ehen und mit Kindern leben, fühlt sie sich nicht sonderlich wohl.

Ein bisschen Geldsorgen, lange Gespräche mit den Menschen, die man mag, Traumata einstiger schief gelaufener Aktionen mit zweitausend Nerzen, die freigelassen auf der Autobahn totgefahren wurden – alles klingt ein bisschen nach der Selfi-Generation, die einfach nicht weiß, was sie will oder wirklich keine Chancen mehr bekommt? Möglicherweise stehen sich Mutter und Tochter symbolhaft gegenüber, hier diejenigen, die einst demonstrierten und hier diejenigen, die sich von Praktikum zu Praktikum hangeln.

Ziemlich tempo- und dialogreich erzählt Noemi Schneider ihre Geschichte, die stellenweise mit ihrem trockenen Humor genau auf den Punkt geschrieben wurde. Ab der zweiten Hälfte jedoch, kippt dann die Geschichte, denn Mustafa redet auch mit Ungläubigen und Unverschleierten, versöhnt sich vor Fernsehpublikum mit seiner Mutter, verliebt sich in eine Fernsehfrau und macht seine eigene Karriere auf Youtube mit einem Nerz, der eigentlich der Erzählerin geschenkt wurde.

Die Mutter der Erzählerin sucht sich ein neues Hilfsprojekt und die Patentante taucht ab und macht den Weg für die neue Generation frei, da die radikale Vergangenheit sie wieder einholt. So weit, so gut – das liest sich unterhaltsam, aber auch nicht mehr.