Michel Bussi: Das verlorene Kind, Aus dem Französischen von Eliane Hagedorn und Barbara Reitz, Rütten & Loening Verlag, Berlin 2016, 432 Seiten, €16,99, 978-3-352-00886-3
„Hier in Mont-Gaillard, so behauptete der kleine Malone, habe er seine Mutter zum letzten Mal gesehen. Eine echte Mutter, die vor Amanda Moulin. Eine Mutter, die zurückgezogen in einer Wohnung im Quartier des Neiges mit Timo Soler lebte? Die ihr Kind vor zehn Monaten einer Unbekannten anvertraut hatte? Und gleichzeitig alles daransetzte, die Erinnerung des Kindes an sie lebendig zu halten? Durch einen MP3-Player, den sie in ein Kuscheltier einnähte? Warum?“
Es ist schon eine verwirrende Geschichte, die sich Michel Bussi, der Meister der psychologischen Romane, ausgedacht hat.
Der sechsjährige Malone Moulin lebt mit seinen Eltern in einem kleinen Ort in der Normandie. Alles ist ganz normal, bis der Junge mit einem Schulpsychologen spricht und ihm erzählt, dass er nicht bei seiner richtigen Mama lebt. Er berichtet von einem Schloss, einem Piratenschiff und einem Menschenfresser, und scheint sich in seinen Fantasien zu verlieren. Und doch glaubt Vasile Dragoman, der gutaussehende Rumäne mit der angenehmen Stimme, diesem kleinen aufgeweckten Jungen. Über eine Freundin, Angie, wendet er sich an die Polizei und trifft Angies Freundin, Commandante Marianne Angresse. Sie ist die Chefin der Polizei in La Havre und interessiert sich wohl eher für den Mann als für seine seltsamen Vermutungen. Zumal der einzige Zeuge, der mit Malone spricht und ihn in seinem Glauben bestärkt, sein Plüschtier ist, das mit ihm spricht.
Parallel zu dieser Geschichte verfolgt die Polizei ein Gaunerquartett, das in kürzester Zeit in Deauville in Geschäften eine Beute von 2 Mill. Euro erbeutet hat. Zwei Personen jedoch wurden bei dieser Aktion erschossen, eine ist angeschossen auf der Flucht und die Vierte nur verdächtig, aber für die Polizei nicht greifbar. Alle stammen aus dem gleichen kleinen Ort, in dem die Wirtschaft in den letzten Jahren den Bach hinuntergegangen ist. Timo Soler, den verletzten Mann, sucht Marianne mit allen Kräften und wird immer wieder ausgetrickst. Als dann auch noch nach heftigen Gesprächen und Auseinandersetzungen der Schulpsychologe ermordet wird, stellt sich eine Verbindung zwischen Malone und den Menschen, die den Raubüberfall organisiert haben her. Warum wollte jemand, dass der Junge sich nicht mehr an eine bestimmte Zeit erinnert? Im Plüschtier von Malone hatte der Psychologe einen MP3-Player gefunden und somit sprach das Tier wirklich mit dem Jungen und erzählte ihm immer wieder sieben kurze märchenhafte, aber auch symbolisch aufgeladene Geschichten. Das Kind mag seine derzeitige Mutter Amanda, aber es weiß auch, dass er in der falschen Familie lebt. Durch akribische Polizeiarbeit finden die Leute um Marianne heraus, das Malone bei dem Überfall dabei war. Doch wer ist seine Mutter? Ist es die Freundin von Timo Soler? Ist es wirklich Angie, die sich mit Marianne angefreundet hatte?
Es wäre kein Michel Bussi – Roman, wenn alles so klar wäre. Der französische Autor betrachtet seine Figuren von vielen verschiedenen Seiten,besonders die Frauen, und zeigt sie als ambivalente Charaktere. Bussis Plot begleiten psychologische Thesen und er wirft viele Fragen auf, die sich der Leser selbst stellt. Welches sind meine wirklichen ersten eigenen Erinnerungen als Kind? Wie nehmen Kinder ihre Umgebung wahr?
Wieder ein spannendes intelligentes Lesevergnügen!
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