Asta Scheib: Das stille Kind, Deutscher Taschenbuch Verlag premium, München 2011, 286 Seiten, €14,90, 978-3-423-24854-9
„Paulina war glücklich, wenn David einverstanden war mit seiner Welt. Sie hoffte dann auf morgen und übermorgen, wenn ihr Sohn seine Umwelt nicht mehr als Hölle erleben muss.“
Paulina und Lukas Ruge sind Ende zwanzig und leben relativ zufrieden mit ihren drei Kindern in einer kleinen Münchener Wohnung in der Donnersbergerstraße. Heimisch sind sie dort geworden, kennen jeden kleinen Krämerladen und die Leute. Schnell findet der Leser Zugang und Verständnis für die überforderte Paulina, die mit Fürsorge und Geduld versucht den Kindern ein harmonisches Zuhause zu bieten. Wenn sie mit Mave im Kinderwagen, Cosima und David spazieren geht, dann schaut sie sich gern Häuser an. In einem großen Haus mit Garten zu leben, ohne missgünstige, kinderfeindliche Nachbarn, das ist ihr Traum von einem glücklichen Leben. Zu schnell sind die Kinder gekommen, es gibt Spannungen in der Ehe, zu deren Unterhalt Lukas als Landschaftsgärtner gerade mal das Notwendige beitragen kann. Paulinas berufliche Entwicklung als Schauspielerin wurde durch die frühen Schwangerschaften gestoppt. Unterstützt wird die Familie durch Lukas‘ Großmutter, bei der er auch aufgewachsen ist. Entwickeln sich die sechsjährige Cosima und Baby Mave wie alle anderen Kinder, so scheint mit dem fünfjährigen David irgendetwas nicht zu stimmen. Das Kind hat immer einen ernsten, unbeteiligten Gesichtsausdruck, redet mit sich selbst wie ein alter Mann, reagiert auf Veränderungen hysterisch und kann es nicht ertragen, wenn andere die Ärmel hochkrempeln. Voraussehbar und regelmäßig muss alles in seinem Leben sein, ansonsten neigt er zu lautstarken Ausbrüchen.
Bisher haben Paulina und Lukas ihre Sorgen um David erfolgreich hinweggeschwiegen und verdrängt. Doch nun soll er in den Kindergarten gehen und Paulina ahnt die zu erwartenden Komplikationen voraus.
Als Paulina eines Tages dem kranken Pierre Valbert auf der Straße ohne Bedenken hilft und sich mit ihm anfreundet, nehmen die Konflikte in der Ehe zu. Eine längst vergessene Liebe von Lukas trudelt plötzlich in München ein und Lukas lässt sich fallen.
Misstrauen und Schweigen sorgt in der Ehe der Ruges für Missstimmungen. Lukas Großmutter überrascht die jungen Leute dann mit einem phänomenalen Angebot. Sie will ihr Erbe mit den Kindern teilen und ihnen ein Haus kaufen, in dem alle zusammen wohnen können. Da der wohlhabende Pierre sein großes Anwesen verkaufen will, greift Paulina zu, ohne zu ahnen über wie viel Geld die Großmutter von Lukas verfügt.
Am Ende wird Pierre Paulina die Hälfte des Hauses schenken und Lukas nun endgültig gegen sich aufbringen.
In all dem familiären Chaos entscheiden sich die Eltern, David endlich einem Spezialisten vorzustellen. Auch wenn Paulina Angst vor falschen Diagnosen, zu recht vielleicht, hat, gibt es einen bewährten Weg, dem Jungen zu helfen.
Asta Scheib betitelt ihren Roman zwar „Das stille Kind“, erzählt aber eigentlich äußerst realitätsnah von alltäglichen, banalen, wie dramatischen Familienkonflikten, u.a. von Paulinas Eltern und ihrer gescheiterten Ehe. Der Roman liest sich eher wie ein unaufgeregter Blick hinter die Kulissen des alltäglichen Wahnsinns. David wirkt in der Handlungsfülle wie eine Randfigur, der jeder ob mit Wohlwollen oder Ablehnung begegnet. Seine Erkrankung, das Asperger-Syndrom, ist auch in der Literatur schon mehrmals thematisiert worden. Die Verhaltensauffälligkeiten des Jungen führen letztendlich nie zu dramatischen Wendungen in der Ehe der Ruges. Er, der vor jeder Veränderung Panikattacken hat, verhindert nicht den Einzug in eine völlig neue Umgebung.
In gewisser Weise zerfällt die Geschichte in einzelne Episoden, die die Vertrauensbasis durch die Schweigsamkeit von Paulina und Lukas und die daraus resultierenden Missverständnisse immer mehr in Frage stellt. Der gute Geist der Großmutter Franziska schwebt über allem und auch Pierres Großzügigkeit Paulina gegenüber nimmt eher märchenhafte Züge an. Leicht geschwollen wirken die Worte, die Pierre benötigt um Paulina zu preisen.
Ein Jahr im Leben der jungen Familie Runge, ein Jahr voller äußerer Veränderungen. Asta Scheibs Roman liest sich ausgezeichnet, lässt den Leser aber auch durch die harmonische Hinwendung zum Happy End etwas ratlos zurück.
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