Eric Berg: Das Nebelhaus, Limes Verlag, München 2013, 410 Seiten, €14,99, 978-3-8090-2615-0

„Aber irgendetwas war gehörig schiefgegangen, und keiner, weder im Inneren noch außerhalb, hatte die Katastrophe kommen sehen, all des Glases zum Trotz.“

Immer noch ein Geheimnis und vor allem nicht gänzlich aufgeklärt sind die Ereignisse in der sogenannten Blutnacht auf der Insel Hiddensee. Drei Menschen wurden im verglasten Nebelhaus in Neuendorf ermordet. Die angebliche Täterin liegt sei zwei Jahren im Koma. Die überarbeitete Journalistin Doro Kagel soll für eine norddeutsche Regionalzeitung einen längeren Artikel zum sogenannten „Jahrestag der Blutnacht“ schreiben. Lustlos beginnt sie mit der Recherche, immerhin verdient man ja mit Zeitungsartikeln ziemlich wenig. Also möglichst kein zu großer Aufwand. Aber je mehr Doro in die Thematik einsteigt, um so neugieriger wird sie auf die beteiligten Menschen und die Geheimnisse, die hinter der grauenvollen Tat stecken.

Ein gemütliches, langes Wochenende sollte es werden, gefüllt mit nostalgischen Erinnerungen an die alten Zeiten, in denen man noch gesellschaftlich aktiv war und etwas wagte. Der nun etablierte Architekt Philipp Lothringer lädt nach 15 Jahren Funkstille seine ehemaligen Aktivistenfreunde ein: Leonie, eine heute ziemlich füllige Kindergärtnerin, Yasmin, eine verrückte, immer noch anarchistisch denkende Gelegenheitsarbeiterin mit bunten Haaren und schrägen Klamotten und Timo, einen Schriftsteller, der ohne großen Erfolg zwei Bücher veröffentlicht hat. Skeptisch betrachtet Philipps Frau, Vev, die ankommenden Gäste. Clarissa ist dabei, die fünfjährige Tochter des Architektenpaares. Alles ist für die Ankömmlinge vorbereitet. Die schweigsame Frau Nan, ehemals mit ihrem Mann und Sohn aus Kambodscha in die DDR übergesiedelt, bereitet das Essen vor.

Nach so langer Zeit fremdeln alle und der erste Eindruck voneinander bleibt ein oberflächlicher. Der selbstherrliche Philipp kann sich kaum noch erinnern, warum er in seiner Großmannssucht überhaupt auf die Idee gekommen war, diese unbedeutenden, erfolglos durchs Leben trudelnden, einsamen Leute, einzuladen. Das offene, einem Aquarium bei guter Sicht ähnelnde Nebelhaus, das in seiner Bauweise so gar nicht zu den Fischerhäusern auf der Insel passt, von Philipp entworfen, ein Traum aus Glas und einer geschmackvollen Einrichtung, beeindruckt die ehemaligen Freunde nicht so wie erhofft. Timo kann, was den beruflichen Erfolg anlangt, Philipp nicht das Wasser reichen. Dafür verliebt er sich in die unglückliche, schlagfertige Vev und auch sie fühlt sich zu ihm hingezogen. Die instabile Leonie nervt mit ihren aggressiven Stimmungsschwankungen, die sogar vor dem Kind nicht haltmachen. Yasmin dagegen hat sich kaum verändert, was die einen sympathisch, die anderen befremdlich finden. Die Stimmung kippt als Leonie entdeckt, dass sie ihre geladene Pistole mit vier Schuss Munition verlegt hat. Angeblich führt sie die Waffe bei sich, da sie überfallen wurde.

Immer im Wechsel zwischen den gegenwärtigen Befragungen der Beteiligten durch Doro und den damaligen Geschehnissen am Strand von Hiddensee und im Nebelhaus gewinnt der Leser langsam ein Bild von der Psyche jeder einzelnen Person und eine Antwort, darauf, was in ihrem Leben wahrscheinlich schief gelaufen ist. Leonie kann nicht mehr zwischen ihren Fantasiebildern und der Wirklichkeit unterscheiden, der schwache Timo sehnt sich nach Anerkennung und einem neuen Lebensinhalt, Yasmin bedrängt den spießigen Philipp mit ihren Aktionen außerhalb des Gesetzes und Vev, die gern dem Alkohol zuspricht, langweilt sich an der Seite ihres vorbildlichen Gatten.

Die Täterin muss Leonie sein, ihre Waffe gelangte über ein paar Umwege wieder in ihre Hände. Niemand kann sie befragen, denn sie liegt im Koma. Getötet wurde auch Frau Nan, wobei nicht klar ist, was sie in der stürmischen Nacht im Nebelhaus zu suchen hatte. Doro gelangt bei ihrer Recherche, zum wichtigsten Gesprächspartner und Mitaufklärer wird Yim, der Sohn der Familie Nan, zu neuen Erkenntnissen.

Der Autor, Eric Berg ist ein Pseudonym, bekannt für seine historischen Romane, wagt sich nun an ein neues Genre. Spannend bleibt bis zur letzten Seite natürlich die ungewöhnliche Figurenkonstellation und die Frage, wer sind die beiden weiteren Toten und warum endet so ein harmloses Treffen zwischen relativ normalen Menschen in einem grausamen Blutbad. Hiddensee als beliebtes, autofreies Urlauberziel spielt eigentlich keine so besondere Rolle, Tatort hätte auch jede andere Ost- oder Nordseeinsel in einer stürmischen Nacht sein können. Exotisch sind eher die asiatischen, unauffälligen Nachbarn, die vieles aus ihrer gut verborgenen Vergangenheit in die Gegenwart und Handlung tragen.

Innerhalb des Plotaufbaus erscheint vieles konstruiert und aufgesetzt, auch wenn man der von Arbeit und Geldsorgen geplagten Doro eine Liebesgeschichte gönnt. Sprachliche Patzer irritieren ebenfalls, z.B. „Charaktergülle“. Auch in den Dialogen reden in diesem Fall die sich trennenden Liebenden wie auf der Bühne und neigen sehr zu melodramatischen Entgleisungen: „Das Leben ist keine Schiefertafel, über die man mit einem feuchten Lappen fährt und alles auslöscht, was darauf geschrieben steht.“ oder „Menschen sind keine Planeten, denen es gelingt, in immer gleichen Umlaufbahnen zu schweben. Die Anziehungskräfte zwischen uns sind zu groß und früher oder später würden wir ihnen nachgeben.“

Wie schnell die Gefährten der Vergangenheit die Gegenwart zerstören können, davon erzählt dieser Krimi. Also, niemanden per Facebook aus vergangenen Tagen kontaktieren – es kann nichts Gutes dabei herauskommen.