Tatiana de Rosnay: Das Haus der Madame Rose , Aus dem Englischen von Gaby Wurster, Bloomsbury Verlag, Berlin 2011, 256 Seiten, €19,90, 978-3-8270-1033-9
„Ach, was war nur aus meiner mittelalterlichen Stadt geworden, aus ihrem wunderlichen Charme, ihren gewundenen dunklen Gassen? Mir schien an jenem Abend, Paris hätte sich in eine rotgesichtige, überreife Dirne verwandelt, die ihre Unterröcke zur Schau stellt.“
Paris vor gut 140 Jahren: Weiter sollten die Plätze werden, heller die Straßenfluten und Boulevards und das alles auf Kosten der Einwohner. Madame Rose Bazelets Hass auf den Präfekten und den Kaiser ist maßlos, sie kann nicht fassen, dass das Haus ihres Mannes in der Rue Childebert, das Haus, in dem er und sein Vater geboren wurden, abgerissen werden soll. Auch die beiden Läden, von dessen Miete Madame Rose lebt, werden verschwinden. Zehn Jahre ist ihr geliebter Mann Armand bereits tot und sie ist froh, dass er diesen Kummer nicht mehr ertragen muss.
„Für dich aber waren Häuser wie Menschen, nicht wahr? Sie haben eine Seele, ein Herz, sie leben und atmen.“
Akribisch hält Madame Rose in ihrem Rückblick alles fest, was ihr lieb und teuer ist, aber auch das, was sie schmerzt. Sie zitiert Briefe und erzählt ihrem Mann, als säße er neben ihr, von ihrem gemeinsamen Leben aus ihrer sehr persönlichen Sicht.
Und Madame Rose, Anfang 60, verweigert sich den progressiven Städteplanern und wird ihr Haus nicht mehr verlassen. Im Keller des Blumenladens harrt sie der unvermeidlichen Dinge, die kommen und schreibt.
Tatiana de Rosnay erlaubt dem Leser über Madame Rose‘ Aufzeichnungen Einblicke in die Pariser Gesellschaft von der Mitte bis kurz vor dem Ende des 19. Jahrhunderts.
Fast nie verlassen die Bazelets ihr vertrautes Viertel. Sie lieben die Geschäfte, Restaurants, den Blumenladen und die Buchhandlung. Hier wohnen sie mit ihren Kindern. Madame Rose‘ eigene Kindheit war nicht glücklich, um so mehr hängt sie innig an ihrer sanfte Schwiegermutter. Zu ihrer Tochter Violet findet Madame Rose keine Beziehung, kann sie nicht lieben, um so mehr ist sie in ihren Sohn Baptiste vernarrt. Doch er stirbt mit zehn Jahren an einer grassierenden Krankheit.
Nach und nach erschließt sich das ruhige Dasein der Pariser gut bürgerlichen Gesellschaft, die sich aus ihren Gewohnheiten nicht mehr zu lösen vermag. Ein soziales und politisches Gesellschaftsbild spielt sich im Hintergrund der persönlich geprägten Erzählung, die auch Tragisches offenbart, ab.
Aber auch Generationen übergreifend spiegeln sich Veränderungen. Madame Rose freundet sich mit der jungen Blumenfrau Alexandrine an, die sie mit ihrer burschikosen, so unabhängigen Art in ihren Bann zieht. Der Buchhändler, Herr Zamaretti, öffnet für sie die Welt der Literatur mit Romanen von Gustave Flaubert, Viktor Hugo und vielen anderen.
Wie so oft vereint Tatiana de Rosnay auch in diesem Roman Elemente des historischen, wie psychologischen Romans und letztendlich des Recherche-Romans. Der Leser darf einen schriftstellerisch höchst professionell umgesetzten Text erwarten, der sprachlich reich auf die Zeit eingeht und nie angestaubt wirkt
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