Imbolo Mbue: Das geträumte Land, Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch, Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2017, 432 Seiten, €22,00, 978-3-462-04796-7
„Wenn sie das Kabelfernsehen und Internet abmelden und sich Zweitjobs besorgen mussten, würden sie das tun, Und wenn sie hungrig zu Bett gehen mussten, würden sich auch das tun. Sie würden alles in ihrer Macht Stehende tun, um in Amerika bleiben zu können. Und Liomi die Möglichkeit zu geben, in Amerika aufzuwachsen.“
Amerika ist das Land ihrer Träume. Jende Jonda aus Kamerun ist mit der finanziellen Hilfe seines Cousins Winston und einem Touristenvisum nach New York gekommen. Als Mann ohne richtige Ausbildung schafft er es, dass seine Frau Neni und sein siebenjähriger Sohn Liomi ebenfalls einreisen können. Neni hat ambitionierte Ziele, sie will ihren Collegeabschluss machen und Pharmazie studieren. Nebenher arbeitet sie als Altenpflegerin. Die kleine Familie hat in Kamerun keine Zukunft, zumal Nenis Vater sich für seine Tochter einen wohlhabenden Mann wünscht. Aber Jende und Neni lieben sich sehr und werden sich gemeinsam eine Zukunft aufbauen. Sie heiraten und stellen einen Asylantrag. Allerdings treffen sie auf einen Winkeladvokaten, der eine erlogene Leidensgeschichte für sie konstruiert, die vor Gericht kaum standhalten kann. Als die Handlung einsetzt, hat Jende wieder durch Winstons Vermittlung, eines Anwalts an der Wall Street, ein Vorstellungsgespräch beim Investmentbanker Clark Edwards, der einen Chauffeur sucht. Jende, der zwar eine Arbeitserlaubnis, aber noch nicht die richtigen Papiere hat, bekommt die gut bezahlte Stelle und ist überglücklich.
Aus der Sicht der Familie Jonda erzählt die Amerikanerin Imbolo Mbue, ebenfalls eine Migrantin aus Kamerun, von deren Zeit in den USA. Als Gegenpol zu den Jondas blickt der Leser auch in die Lebenswelt der extrem reichen Familie Edwards. Jende hört die Telefonate, die Clark Edwards führt, Neni arbeitet zeitweilig im Sommer als Haushälterin bei Cindy Edwards. Sie versucht als frustrierte Ehefrau, die zu viel Alkohol trinkt und verkrampft an ihrem gesellschaftlichen Status arbeitet, die Familie zusammenzuhalten, aber ihr ältester Sohn bricht sein Jurastudium ab und geht nach Indien und ihr Mann vergräbt sich in seinen Geschäften. Als Lehman Brothers, bei der Clark arbeitet, in die Schieflage gerät, Jendes Asylantrag abgelehnt wird und er um seinen Job fürchtet, Neni wieder schwanger ist und Trost in der Religion sucht, kippt mit der Wirtschaftskrise 2008 die Geschichte ins Tragische.
Imbolo Mbue stellt im Handlungsverlauf die verschiedenen Lebensmuster ihrer Protagonisten gegenüber. So erhält Jende, der im reichen Amerika lebt, ständig Anrufe von seiner Familie, die um finanzielle Hilfe bittet. Einmal hört Cindy Edwards mit und steckt ihm Geld zu. Als jedoch Jendes Vater stirbt, kann auch er aus der Ferne nichts tun, nur Geld für die Beerdigung schicken. Neni umgibt sich schnell mit afrikanischen Freundinnen, die ebenfalls am Existenzminimum in Harlem leben.
Je schwieriger die Situation der Jondas wird, um so mehr dringen die alten Geschlechterrollen durch. Jende, auch wenn es in Nenis Interesse ist, trifft alle Entscheidungen, die seine Frau zu akzeptieren hat. Aber Neni hat in den USA gelernt, sich selbst zu behaupten, nicht mehr in dieser dienenden wie abhängigen Position zu verharren. Und so eskalieren die Konflikte zwischen den Eheleuten und Jende behauptet sich mit Worten und Gewalt. Der Traum von einem neuen freien Leben endet für Neni bereits in New York.
Mag das Thema Migration mit allen Konflikten aktuell sein, in keiner Szene zeichnet die Autorin Imbolo Mbue ihre Figuren und deren Konflikte eindimensional. Die Exilgeschichte ist glaubwürdig und so sehr man mit den Jondas mitfiebert, so schnell ist klar, wie chancenlos diese Familie in der Fremde ist. Imbolo Mbues lebendig und dialogreich geschriebenem Roman kann man sich kaum entziehen, denn die geschilderten Menschen überzeugen mit ihren Schwächen und Stärken, ihren Wünschen und Hoffnungen.
Schreibe einen Kommentar