Maryrose Wood: Das Geheimnis von Ashton Place, Aller Anfang ist wild, Band 1, Aus dem Amerikanischen von Eva Plorin, Thienemann Verlag, Stuttgart 2012, 284 Seiten, €12,95, 978-3-522-18296-6

„Überhaupt Geschenke bekommen, war bestimmt etwas Neues für sie, und unter Bäumen hatten sie ja schließlich bereits ihr ganzes bisheriges Leben verbracht.“

Miss Penelope Lumley wurde als elternloses Mädchen am Swanburne Institut bei Miss Charlotte Mortimer, die sie sehr verehrt, ausgebildet. Als Erzieherin tritt die 15-jährige Frau nun ihre erste Stelle an. Auf dem hochherrschaftlichen, englischen Anwesen soll sie drei Kinder unterrichten. Etwas ängstlich und auch unsicher tritt sie der erst 20-jährigen Hausherrin Lady Constance Ashton entgegen und plötzlich, ohne wirkliche Prüfung ihrer Fähigkeiten, hat sie die Stelle. Schnell erkennt Penelope, dass sie vor eine schwierige Aufgabe gestellt wird, denn die drei Kinder, die sie betreuen soll, sind absolut wild. Lord Ashley hat sie auf der Jagd durch seine Wälder gefunden. Offenbar wurden sie von Wölfen aufgezogen und verhalten sich wie Hunde. Penny kennt sich gut mit dem Verhalten von Hunden aus und schafft es, die Kinder ins Haus zu locken. Vieles erlernen die drei durch Nachahmung. Nach und nach kann Penny ihnen das ewige Gejaule abgewönnen und schnell wird klar, dass der feine Unterricht in Sprachen und Kunst noch eine Weile warten muss.
In den Beschreibungen des englischen Landlebens lässt Maryrose Wood immer wieder auch Bezüge zur Gegenwart einfließen. Das lockert auf und zeigt, wie modern Penny in vielen Dingen denkt. Am schwierigsten ist es jedoch den Kindern zu verdeutlichen, dass sie Eichhörchen nicht jagen dürfen.

Die verwöhnte, nicht gerade gebildete und ständig plappernde Lady Constance will die unberechenbaren Wilden aus dem Haus haben, ihr Mann, der sich mehr im Club als zu Hause aufhält, dagegen besteht darauf, dass er sie gefunden hat und auch behalten wolle – wie eine Trophäe. Er gibt den Kindern unaussprechliche Namen und nennt sie die „Unerziehbaren“, was Penny ziemlich beleidigt. Ohne jegliche Erfahrungen schafft es die junge Frau den Kindern Vertrauen und Zuneigung entgegenzubringen. Allerdings muss sie auch aufpassen, dass ihre Schuhe nicht herumliegen, denn Beowulf liebt es an ihnen zu knabbern.
Pennys Erziehung ist von Erfolgen und Misserfolgen geprägt, aber sie gibt alles und das macht sie so liebenswert. Sie schlägt die Kinder nie, sondern versucht mit außergewöhnlicher Geduld und Süßigkeiten ihr Wissen zu erweitern.

Seltsam ist dieses Haus, in dem sich, besonders im dritten Stock, der tabu ist, etwas Eigenartiges hinter der Wand verbirgt.

Doch dann naht Weihnachten und Lady Constance will mit den adligen Nachbarn ein Fest feiern. Die Kinder sollen auf Wunsch des Hausherrn, der aber aus unerfindlichen Gründen nicht teilnimmt, präsentiert werden. Penny übt und übt immer wieder gutes Benehmen mit den Kindern und doch wird nicht das eintreten, was alle hoffen. Die Erwartungen werden noch übertroffen, aber das ist nicht schuld der wilden Kinder. Jemand zieht im Hintergrund die Fäden, Penelope will herausfinden, wer das ist.

Der erste Band endet in dem Moment, wo die Handlung so richtig spannend wird.

Die amerikanische Autorin Maryrose Wood, bei uns bereits bekannt durch ihr fantastischen History-Fantasy-Bände „Die Poison Diarys“, erzählt zu Beginn in fast betulichem Ton ( vielleicht auch weil sich Penny, worauf soll sie sich auch sonst stützen, die Sprüche ihrer Lehrmeisterinnen zu Rate zieht) von einer jungen Frau, die in die Welt hinausgeschickt wird, um ihre ersten Berufserfahrungen zu machen. Penny, und das macht diesen Mehrteiler so interessant, ist einfach eine feinfühlige Person, die sympathisch und ohne Härte sich einer Aufgabe stellt, die fast nicht zu bewältigen ist. Unverkennbar deutlich werden die Gesellschaftsschranken aufgezeigt und auch die Zwänge, in denen Penny nur wenig Spielraum hat. Dabei bleibt der Humor und Ironie nie auf der Strecke, ob es sich nun um die versnobte wie dümmliche Lady Constance handelt oder die seltsamen Verhaltensweisen der Kinder, denen Dante vorgelesen wird und die gleichzeitig den Eichhörnchen hinterherjagen. Im Spiel verschiedener Genres und in der Tradition von literarischen Figuren wie Mary Poppins, Mogli oder Kaspar Hauser stehend knüpft dieser Roman auch an den Gouvernantenroman, aber auch die Werke von Jane Austen an.

Dabei steht der Leser immer auf der Seite von Penny und den Kindern gegen die Adligen, die offensichtlich hoffen, dass die wilden Waldkinder als Belustigung Abwechslung in ihr tristes Landleben bringen. Band 2 folgt hoffentlich bald!