Daan Heerma van Voss: Heute kein Abschied, Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens, Diogenes Verlag, Zürich 2025, 491 Seiten, €26,00, 978-3-257-07325-6
„Dumpfe Trauer hatte sie erwartet, wenn Mutter oder Vater sterben sollten, einen grauen Nebel. Doch es war, als sei, im Gegenteil, etwas weggezogen worden, ein Schleier. Alles um sie herum, die Gesichter auf der Straße, die Rinde der Bäume, die sie täglich sah, alles wirkte heller als zu der Zeit vor dem Leben des Vaters.“
Auf dem Amsterdamer Flughafen bricht Oskar Van Bohemens, Sohn, Ex-Ehemann und Vater, auf dem Weg nach Porto plötzlich zusammen. Sein schwaches Herz führt zum schnellen, unerwarteten Tod in der Menschenmenge. Er hinterlässt seine drei Kinder, Tessel, Moor und Cat, und seine Ex-Frau Elise. All diese Fakten erfahren die Lesenden von einem auktorialen Erzähler.
Nichts in dieser Familie schien einfach, denn alle drei Kinder mussten mit den Folgen der Scheidung ihrer Eltern klarkommen. Oskar, der als selbstständiger Fotograf gearbeitet hat, ließ seine Kinder nie allzu nah an sich heran, denn er glänzte oft durch Abwesenheit, immer begründet durch seinen Beruf. Erst nach seinem Ableben werden die Kinder, die ganz unterschiedliche Wege als Erwachsene eingeschlagen haben, verstehen, warum er sich so verhalten hat. Oskars Seele ist durch ein Missbrauchsgeschichte belastet, die sowohl seine Beziehungen zu anderen als auch zu sich selbst bestimmt haben.
Ist die älteste Tochter Tessel früh mit ihrem Romandebüt, mit autobiografischen Zügen, bekannt geworden, so fehlt ihr nun der Stoff für den zweiten, den bekanntlich schwereren Roman. Sohn Moor wohnt in einem umgebauten VW-Bus und lebt als Außenseiter vom gelegentlichen Klamottenverkauf, glaubt aber von sich, dass er im Gegensatz zu den anderen das authentischste Dasein fristet. Und Cat, die jüngste Tochter, reist verspätet zur Beerdigung des Vaters aus New York an, wo sie Psychologie studiert und an einem Essay ausgerechnet über Sigmund Freud und den Verfall der Kernfamilie schreibt. Die Trauerarbeit der Kinder und das Abarbeiten am Vater verläuft bei allen auf sehr unterschiedliche Weise.
Bleiben wie so oft bei mehreren Kindern die organisatorischen Aufgaben und dem Kampf mit der Bürokratie an der ältesten Tochter hängen, so nimmt Tessel diese Rolle an und speist daraus und aus ihren Gedanken über den Vater den Plot für ihren nächsten Roman.
„Über den Tod zu schreiben, ist auch eine Form des zum Leben Erweckens. Über ein Ende
zu erzählen, kann ein Anfang sein.“
In gewisser Weise muss sich jeder mit dem Tod der Eltern auseinandersetzen. In dieser dysfunktionalen Familie müssen alle ihre Ansichten revidieren und neu über Oskar nachdenken.
Warum zwischen Eltern und Kindern eher oft das Schweigen als das Miteinanderreden im Vordergrund steht, mag man sich nach dieser unterhaltsamen Lektüre auf jeden Fall fragen und in sich gehen.