Claire Lombardo: Genau so, wie es immer war, Aus dem Englischen von Sylvia Spatz, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2024, 719 Seiten, €26,00, 978-3-423-28417-2
„Unwillkürlich musste sie an den Tag denken, als sie Helen kennenlernte, und wie problemlos diese Frau den Finger in ihre Wunden legte und wie freigiebig Julia ihr alles erzählte. Das war noch nicht der schlechte Teil der ganzen Geschichte, der kam später, und die Vorstellung, sich erneut einer objektiven dritten Partei, die offenbar noch Sympathien für sie hegte, anvertrauen zu können, schien ihr verlockend.“
Vor achtzehn Jahren hatte Julia Ames eine sehr enge Beziehung zur zwanzig Jahre älteren Helen Russo, die sie nun per Zufall in einem Geschäft trifft. Beide Frauen verband eine enge Freundschaft, wobei die verunsicherte Julia damals kaum glauben konnte, dass diese im Leben stehende Frau wirklich ihre Nähe suchte. Julia war mit ihrem Mann Mark in eine wohlsituierte, aber ziemlich langweilige Wohngegend gezogen und die damals depressive Julia saß nun mit ihrem dreijährigen Sohn Ben zu Hause fest und spürte eine zunehmende Unzufriedenheit in ihrer Ehe, die sie sich jedoch kaum erklären konnte, denn Mark war ein verantwortungsbewusster, aufmerksamer Ehemann. Fehlten Julia wohl doch die sozialen Kontakt, so konnte sie zu den Müttern der Kinder, die mit Ben in einen edlen Kindergarten, gingen, einfach nicht aufbauen.
Claire Lombardo umkreist in ihrem Seiten starken Roman Julias Leben mit Mark, in dem sie zwischen Gegenwart und Vergangenheit in der Handlung zeitlich hin- und herspringt und aus Julias Sicht, aber aus der personalen Erzählperspektive, Einblicke gewährt.
Jetzt sind Julias Kinder fast erwachsen. Der vierundzwanzigjährige Ben arbeitet an seiner wissenschaftlichen Karriere und die siebzehnjährige Alma steht vor der Entscheidung, an welches College sie gehen möchte. Julia und Marks Ehe ist in Chicago in ruhigen Gewässern gelandet, sie haben einen treuen Freundeskreis und alles könnte gut sein. Doch diese Begegnung mit Helen wühlt Julia auf, lässt sie in Erinnerungen schwelgen und über sich, nun Ende fünfzig, nachdenken.
Verblüffend an Helen war damals ihre unverblümte Ehrlichkeit. Als Julia sie kennenlernt, ist die Mutter von fünf Kindern bereits Rentnerin, hatte allerdings vorher immer als Anwältin gearbeitet. Um die Kinder kümmerte sich ihr liebenswerter Mann Pete. Immer öfter ist Julia mit ihrem kleinen Sohn wie selbstverständlich zu Gast im offenen Haus der Russos. Helen als lebenskluge und gute Zuhörerin vermittelt Julia den Kontakt zu einer Bibliothekarin, die Personal sucht. Julia erzählt ihr in dieser Zeit ihrer Lebenskrise alles. Sie berichtet von ihrer Unsicherheit, ob sie noch ein zweites Kind bekommen sollte, sie schildert Szenen aus ihren unglücklichen Kindheit mit einer alkoholisierten, gefühlskalten Mutter und ihrer vergeblichen Suche, obwohl sie doch als Mutter vor Zufriedenheit nur so strahlen müsste. Finanziell ohne jegliche Probleme ordnet sich Julia Marks wohlgemeinten Wünschen unter, dessen Ansichten auch nicht zu kritisieren sind.
Als Julia dann jedoch mit Nathaniel, Helens jüngstem Sohn, eine Liebesbeziehung eingeht, gerät ihre Ehe in die wahre Schieflage.
Angekommen wieder in der Gegenwart wird deutlich, dass Mark und Julia auch durch ihre Art, über vieles dann doch zu reden, über Krisen hinweggekommen sind. Doch nun deutet sich eine neue an, denn Ben eröffnet seinen Eltern, dass er Vater wird und Sunny, die neue Freundin, die keiner kennt, heiraten wird. Wieder gerät Julia, die als Bibliothekarin arbeitet, in eine seelische Krise und scheint erneut Helens Gegenwart zu suchen.
Vieles kann man in diese kaum spektakuläre Ehe- und Familiengeschichte aus der Mittelschicht hineininterpretieren, denn sie ist universell. Als ambivalente Figur jedoch, ist Julia eine Frau, deren Handlungsweisen Lesende nachvollziehen können oder eher verurteilen.