Ally Condie: Cassia & Ky – Die Auswahl, Aus dem Amerikanischen von Stefanie Schäfer, S.Fischer Verlag, FJB, Frankfurt am Main 2011, 464 Seiten, €16,95, 978-3-8414-2119-7

„Sie haben die Kunst perfektioniert, uns gerade genug Freiheiten zu lassen; gerade so viel, dass sie uns dann, wenn wir bereit sind zuzubeißen, einen kleinen Knochen hinwerfen können.“

Es ist die perfekt Gesellschaft, in der die Menschen konfliktfrei und gesund bis ins achtzigste Jahr leben können. Der Preis für dieses sorgenfreie Leben sind jedoch Transparenz und die geschickt getarnte Bevormundung bis ins kleinste Details durch Funktionäre, die alles wohlwollend lenken. Per Terminals wird jeder Schritt von jedem überwacht, Sensoren zeichnen Träume auf, die Medizin ist so hochentwickelt, dass schwere Krankheiten ausgemerzt sind.
Im ersten Teil der Trilogie „Cassia & Ky“ erzählt die amerikanische Autorin aus der Perspektive der braven Cassias vom bewährten Paarungsbankett der Gesellschaft. Wenn die heiratsfähigen Mitglieder das 17. Lebensjahr erreichen, sucht die Gesellschaft zur Genoptimierung den vollkommenen Partner aus. Für Cassia wurde Xander erwählt, ihr Freund seit Kindertagen. Nie hat Cassia, für die Identitätssuche oder gar Abgrenzug Fremdwörter sind, an der Gesellschaft gezweifelt.
Dann jedoch erscheint auf dem Microchip mit den Hintergrundinfos über den zukünftigen Lebenspartner eine andere Person – Ky. Cassia ist verwirrt, aber eine Funktionärin nimmt sie bei Seite und erklärt alles als dummen Scherz. Ky kann sich nicht paaren, denn er ist eine Aberration, ein reklassifizierter Mensch, der für den Fehler seines Vaters einstehen muss. Auch wenn Cassia ihren langjährigen Freund Xander ohne Bedenken akzeptiert, weckt dieses Wissen ihr Mitgefühl für Ky, der ohne schuldig geworden zu sein, bestraft wird. Über sein Schicksal kann sie nur mit dem Großvater sprechen, der in Kürze geplant und sauber an seinem 80. Geburtstag sterben wird. Zum Trost schenkt er seiner Enkelin heimlich Gedichte von Dylon Thomas, die es offiziell gar nicht geben darf, denn die Gesellschaft, duldet nur Nützliches.
Cassia weiß, der Großvater will ihr mit den aufrüttelnden Versen sagen, es ist in Ordnung Fragen zu stellen, Wut zu haben, Sehnsucht zu spüren und den Schmerz, nie etwas Eigenes zu schaffen. Ally Condies Menschen leben im Paradies, sind aber gebrochen ohne es wahrzunehmen. Das Leben im Gleichmaß, dass durch seine oktroyierte Harmonie und den entspannten Erzählton Cassias anfänglich so positiv wirkte, erfährt nun nach und nach Risse. Cassias vorauseilender Gehorsam und ihr Eifer als Informationssortiererin wird jedoch dazu führen, dass Ky, der sein Verhalten genauestens abwägt, von ihr getrennt wird. Viel zu spät erkennt das Mädchen, dass sie von der perfekten Gesellschaft äußerst geschickt manipuliert wurde.
Ally Condy entwirft eine künstliche Zukunftsvision von einer totalitären, unmündigen und trotzdem hochentwickelten Gesellschaft, die freiwillig die Vergangenheit auslöscht. Gleichzeitig liest sich die Geschichte wie eine Liebeserklärung an das gedruckte Wort. Die amerikanische Autorin erfindet nichts neu, sie würfelt geschickt aus Versatzstücken zusammen, was aus Science-Fiction-Romanen von George Orwell, Aldous Huxley oder Ray Bradbury längst bekannt ist. Literarisch kaum anspruchsvoll, durchschaut der Leser schnell, dass nicht nur die konfliktreiche Dreierbeziehung zwischen Cassia, Ky und Xander die Geschichte vorantreiben soll. Unterfüttert ist die Handlung mit der Frage: Kann ein mit technischer Perfektion und absoluter Sicherheit lockendes System, dass dem Menschen aber alle geistigen Freiheiten genommen hat, wirklich funktionieren?