Michael Wildenhain: Blutsbrüder, Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2011, 253 Seiten, €14,95, 978-3-473-35219-7

„Emre und Hakan müssen kämpfen. Sie müssen aufeinander einschlagen, bis ihre Kraft erschöpft ist, ihre Wut verraucht und der Zorn versiegt.“

Hakan und Darius sind auf den Straßen in Berlin-Kreuzberg groß geworden. Sie kennen die Plätze, an denen man sich nicht rumdrücken sollte, sind vertraut mit dem Gebaren der türkischen wie arabischen Jugendlichen, wissen um die aggressiven Übergriffe, die sie an jeder Ecke überraschen können. Hakan lebt mit seiner deutschen, alleinerziehenden Mutter, der türkische Vater hat längst eine neue Familie. Darius, kurz vor der Volljährigkeit, hat sich entschlossen, endlich bei seinem stets betrunkenen, angriffslustigen Vater auszuziehen. Furcht vor Schläge kennt Darius seit langem nicht mehr. Er musste sich immer allein durchkämpfen, am Gymnasium und in seinem Lebensumfeld. Hakan jedoch steht zwischen den Welten, der deutschen und der türkischen.
Mit Emre, einem zwielichtigen Anführer einer Clique geraten Hakan und Darius immer wieder in Konflikte. Nachdem Hakan und Darius, bei Karl May wären sie längst Blutsbrüder, gemeinsam in einer Antifa – Gruppe Kampagnen gegen Nazis gestartet haben, will Hakan nach einschlägigen Erlebnissen mit arabischen Jugendlichen, u.a. auch Ömer, Emres kleinem Bruder, nun gegen die Verhaltensauffälligkeiten und Machtkämpfe der Jugendlichen auf den Straßen oder in öffentlichen Einrichtungen und Verkehrsmitteln angehen. Die Gruppe ist sich mit Hakan nicht einig, zerfällt langsam. Auch Darius überwirft sich mit dem Freund, der sich kurzzeitig in seine ausländerfeindliche Kampagne verbohrt hat. Als Alina, Hakans Freundin, dann mehrmals von Ömer sexuell belästigt und verletzt wird, kommt es zu einer entscheidenden Auseinandersetzung zwischen Emre und Hakan.
Michael Wildenhain ist vertraut mit seinen fiktiven Figuren, er kennt ihre Lebenssituationen, ihre Hoffnungen, ihr Denken, ihre Verlorenheit und er vermag es, davon packend in der Gegenwart und in Rückblenden zu schreiben. Der Berliner Autor lebt selbst seit langem in Berlin-Kreuzberg. Und so trifft er genau den teils hohlen, anmaßenden Straßenslang der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die alle in Deutschland geboren sind, die angespannte Atmosphäre zwischen den Jungen und Mädchen und vor allem vermittelt er, wie wichtig es ist, in diesem Milieu einen vertrauten Freund und ein Ziel zu haben. Emre erscheint am entscheidenden Tag der Auseinandersetzung mit diversen Cousins und scharfen Hunden, Hakan hat nur Darius.
Der Kleinkrieg der Jugendlichen untereinander beschränkt sich nicht auf Wortgefechte, die sich um Wertevorstellungen wie Respekt und Ehre oder Nationalitätszugehörigkeiten drehen. Es wird geschlagen, verletzt, gedemütigt und am Ende geschossen.