Joy Fielding: Blind Date, Aus dem Amerikanischen von Kristian Lutze, Goldmann Verlag, München 2019, 480 Seiten, €20,00, 978-3-442-31435-5
„Er greift nie auf Drohungen oder Gewalt zurück, um sie dazu zu bewegen, mit ihm zu gehen. Sie folgen ihm bereitwillig, betreten erwartungsvoll seine Wohnung, im Kopf bereits wilde Gedanken an Hochzeitsglocken und für immer. Und sie bekommen für immer, wenn auch nicht ganz so, wie sie es sich vorgestellt hatten.“
Ein Psychopath, der mit Genuss alle möglichen Dating-Portale wie Tinder, E-Harmony, Match Sticks oder Perfect Stranger mit seinem attraktiven Profil bestückt, hat sich in Boston niedergelassen. Seine Opfer sind junge Frauen, die er psychologisch geschickt über SMS-Nachrichten bis zum ersten Date in Sicherheit wiegt, um sie dann in seine Wohnung zu einem blutigen Steak einzuladen. Ihr Tod ist immer grausig, denn der namenlose, wie wahnsinnige Killer benötigt den Anblick des Schmerzes, den er sogar bei seiner Mutter genossen hat, die elendig an einem Krebsleiden zu Grunde ging. In Zeiten der absoluten Selbstoptimierung und erschreckender Vertrauensseligkeit hat er leichtes Spiel. Zwar hören die Frauen in Boston in den Nachrichten von verschwundenen jungen Frauen, bringen deren Abwesenheit aber nicht mit Blind Dates in Verbindung.
Parallel zum inneren Monolog des Täters erzählt Joy Fielding von der sympathischen Paige Hamilton, die mit Anfang 30 ohne ihr Verschulden ihren Job verloren hat und nun wieder bei ihrer Mutter lebt. Sie ist kopfüber aus der Wohnung ihres Lebenspartners Noah ausgezogen, denn dieser betrügt sie schon eine Weile mit ihrer Cousine Heather, die Paige in allem, was sie anstellt, kopiert.
Auch Paige hat sich auf Dating-Portalen angemeldet und trifft so in einer Bar Sam Benjamin. Zum gleichen Zeitpunkt hält sich auch der Täter in der Bar auf und wird auf Paige und ihren Nickname Wildflower aufmerksam. Sein Jagdinstinkt ist geweckt.
Paige führt erfolglos ein Vorstellungsgespräch nach dem anderen. Es schmeichelt ihr, dass der gutaussehende Mann namens Mr Right Now ihr Avancen macht.
Allerdings muss sich Paige immer öfter um ihre anfällige Mutter kümmern und ihre Freundin Chloe. Chloe hat früh geheiratet, zwei Kinder bekommen und muss nun feststellen, dass ihr Mann Matt, ein erfolgreicher Immobilienmakler, sich auf Dating-Portalen herumtreibt. Eine „gute“ Freundin habe ihr einen anonymen Tipp gegeben. Chloe zweifelt schon lang an der Treue ihres Mann und sie weiß, dass sie mit Schlägen rechnen muss, wenn sie ihn zur Rede stellt.
Paige erlebt nun den Nervenkrieg zwischen Chloe und ihrem Mann, der wie aus dem Bilderbuch gescheiterter Ehen zu sein scheint. Chloe und Matt haben viel zu früh geheiratet, sie ist finanziell abhängig, er verdreht alle Tatsachen und verharmlost sein Handeln. Matt versucht, seine Frau durch Psychospielchen in die Ecke zu drängen, indem er behauptet, er wolle das Sorgerecht für die Kinder. Als die Scheidungspapiere Matt erreichen, dreht er völlig durch.
Paige hat nun wieder intensiven Kontakt zu Mr Right Now aufgenommen, denn Sam spürt, dass Paige eigentlich noch an Noah denkt. Der Täter spinnt sein Netz, kauft seine teuren Steaks und Paige bestätigt endlich die erste Verabredung in der Bar.
Wir leben in einer Welt der Oberflächlichkeiten, in der Menschen sich immer attraktiver, jünger und vor allem schlanker darstellen müssen, als sie es in Wirklichkeit sind. Zu sich selbst zu stehen, zu seinen Unzulänglichkeiten und vielleicht auch seiner Einsamkeit, ist nicht angesagt.
Und so thematisiert Joy Fielding die Suche nach dem richtigen Mann oder der richtigen Frau und führt diese ad absurdum, denn niemand kann bei der ersten und vielleicht auch vierten Begegnung sicher sein, wen er vor sich hat. Dabei sind über Facebook oder andere Kanäle alle Informationen über Personen frei zugänglich, Menschen posten Bilder von sich, ihren Lieben, den Eltern, Kindern und Freunden. Warum? Alles um das Ego zu stärken, der Welt zu zeigen, wie wunderbar das eigene Leben ist? Menschen, die diese positive Selbstdarstellung benötigen, einfach nur nach Aufmerksamkeit gieren, ahnen nicht, welche Begehrlichkeiten sie wecken könnten.
Leider agieren alle Figuren im Thriller absolut holzschnittartig, sie sind entweder zu gut, rücksichtsvoll und emotional oder abgrundtief widerwärtig, berechnend, wild nach Sex und bösartig. Zwischentöne sind nicht Fieldings Sache und so gewinnt der sprachlich schlichte Thriller keine Tiefenschärfe, sondern schrammt wie die Dating-Portale an der Oberfläche entlang – bis zum bitteren Ende.