Christine Fehér: Anders frei als du, cbt in der Verlagsgruppe Random House, München 2016, 286 Seiten, €9,99, 978-3-570-30900-1

„Ich habe den Islam als meine Religion angenommen. Lebe für Allah, nach der Lebensweise, die der Prophet Mohammad überbracht hat. Endlich ergibt alles einen Sinn. Endlich lebe ich nicht mehr nur für mich und irgendwie vor mich hin. Alles was ich mache, ist nicht mehr nur für den Augenblick, nicht mehr nur für den Genuss, den Zeitvertreib. Ab heute habe ich einen Platz auf dieser Erde. Eine Aufgabe. Allah dienen, den Menschen dienen. Nie mehr werde ich mir überflüssig vorkommen wie früher so oft. Sehr ihr mich nicht, Leute?


Wollt ihr nicht auch so werden, nicht auch teilhaben am Großen, Ganzen, an Allahs allumfassendem Plan?“

Die 16-jährige Malina lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter und ihrem Bruder Lasse mitten in Berlin. Das selbstbewusste, auch schnell aufbrausende Mädchen ist lebensfroh, gut angesehen in der Klasse, macht gern Party und flirtet mit Jungen. Ihre besten Freunde, die Zwillinge Nele und Luca, wohnen gleich nebenan. Auch wenn Malina sich gern mit ihrer muslimischen Mitschülerin Nesrin unterhält, mit Religion hat sie nichts am Hut. Kritisiert wegen ihres kurzen Rockes und ihrer Gefallsucht geraten Nesrin und Malina zu Beginn eher aneinander. Aber dann verliebt sie sich in Tarik, lernt den Zusammenhalt in türkischen Familien kennen, die Wärme, die innige Hinwendung zur Religion. Lange Gespräche mit Nesrin, die um tausend Ecken mit Tarik verwandt ist, verändern Malinas Weltbild und ihre Einstellung zum Islam. Auch wenn sie sich längst von Tarik getrennt hat, findet sie ihre innere Ruhe, ihr „Seelenheil“ gegen das vermeintliche Chaos der Außenwelt in einer völlig fremden Religion, sie konvertiert zum Islam und stößt ihre Freunde und ihre Familie vor den Kopf. Malina glaubt in den Regeln des Islam, alles beruht auf Freiwilligkeit, eine stabile Struktur für ihr künftiges Leben gefunden zu haben.

Alles beginnt mit einem Gespräch des unsicheren Vertrauenslehrers mit Malinas Klassenkameraden, die ihren Weg zur Religion verbunden mit der Kleiderordnung nicht nachvollziehen können. Sie grenzen sie aus, fühlen sich mit ihr nicht mehr wohl. Nach und nach versucht die Klasse zu klären, wie es zu dem Sinneswandel Malinas kam. Wie kann es sein, dass eine junge aufgeklärte auch eigensinnige Frau, die sich klar als Atheistin versteht und immer so gelebt hat, plötzlich eine spirituelle, ja göttliche Eingebung in der Moschee spürt und in den Regeln des Islam als das „Große, Ganze“ ihre Erfüllung findet?

Diesen Wandel begreiflich zu machen, war wohl die Herausforderung für die Autorin dieser fiktiven Handlung, die sich auf reale Erlebnisse von Personen stützt.

In vielen Szenen kann Christine Fehér lebendig und vor allem glaubwürdig durch das ungehemmte Sprachrohr der Jugendlichen verdeutlichen, welches auch falsche Bild von Muslimen in der Gesellschaft herrscht. Sie kann Vorurteile und Misstrauen schnell ad absurdum führen. Doch warum ist Nesrin, das türkische Mädchen, in der Klasse isoliert? Und wie sieht es aus mit der Toleranz der Andersgläubigen, zum Beispiel den Christen gegenüber?

Die Autorin unternimmt den Versuch, jungen Lesern die Glaubensrichtung des Islam mithilfe der Geschichte Malinas zu erläutern. Dabei geraten die Dialoge der muslimischen jungen Akteure zu hölzern, zu belehrend, denn sie müssen, Erwachsene sind außen vor, auch beim Ablegen des islamischen Glaubensbekenntnisse Malinas, die Lehren des Islam verdeutlichen.

Auch die Argumentationsversuche der katholischen Cousine Hanna wirken innerhalb der Handlung eher unbeholfen, da vordergründig aufgesetzt, gerade bei der Diskussion um die Dreifaltigkeit.
Fraglich bleibt, wo ist die wirkliche „Leerstelle“ in Malinas Leben und warum sehnt sie sich nach Fremdbestimmung? Ist es die alleinerziehende Mutter, die als Schauspielerin mal mehr mal weniger erfolgreich ist und das Fehlen der intakten, heilen Familie? Sind es die Freunde, die nur oberflächlich daherkommen, Malina aber tiefgründige Gespräche sucht? Wohl kaum.

Warum sich Malina mit all ihren Argumenten zu Allah hingezogen fühlt, überzeugt nicht. Schnell ordnet dieses so selbstbewusste Mädchen ihr Leben den vorgegebenen Regeln unter und kann nun mit ihrem Jugendfreund Luca keine Zeit mehr verbringen. Sie zieht die Gesellschaft der konvertierten Deutschen, die sie zum Glück beim Beten ja auch noch versteht, vor. Die innerlich nun ruhigere Malina bemüht sich um ein besseres Verhältnis zu ihrer Mutter, die die Verwandlung der Tochter schwer aushalten kann, sich aber an ihre Seite stellt. Die Autorität der Eltern wird bei den Muslimen nicht infrage gestellt. Wie kann jedoch ein junger Mensch herausfinden, wer er ist, wenn er sich gerade in der Zeit der Pubertät nicht auflehnen darf, keinen Freiraum für eigene Gedanken und auch Handlungen hat und das Wort der Eltern Gesetz ist?

Die Vermittlung des Gedankens, dass ein modern lebendes Mädchen durch die Religion ein besserer Mensch wird, erscheint mir in dieser Geschichte eine fatale Botschaft. Was war an ihr vorher falsch?

Viele kritische Fragen bleiben nach der Lektüre offen, die innerhalb des Buches leider nicht gestellt oder nur kurz angerissen werden.