Alice Elliott Dark: Unsere Jahre auf Fellowship Point, Aus dem amerikanischen Englisch von Margarita Ruppel und Marieke Heimburger, Insel Verlag, Berlin 2024, 733 Seiten, €28,00, 978-3-458-64414-9
„Agnes hatte großen Respekt vor der Intelligenz der anderen Tiere, doch es gab Bereiche, in denen sie sich von Menschen unterschieden, und das Schreiben und Lektorieren von Büchern gehörte dazu.“
Die über achtzigjährige, disziplinierte Schriftstellerin Agnes Lee und Polly Wister, ihre Freundin seit Ewigkeiten, verbringen ihr Leben zu einem Teil in Philadelphia und zum anderen in Maine, in Fellowship Point, einem landschaftlich einmaligen Eiland, das mit wenigen Häusern und ausgedehnten Vogelbrutplätzen am Meer liegt.
Beide doch sehr unterschiedliche Frauen, die sich auch mit dem Älterwerden auseinandersetzen, lieben die Sommerzeit, in der sie sozusagen Tür an Tür wohnen. Die eigenwillige Agnes, die nie geheiratet hat und zum Unverständnis ihrer Umgebung den trockenen britischen Humor liebt, hatte kürzlich eine Brustoperation und leidet nun im März 2000 unter einer Schreibblockade. Bekannt geworden ist sie durch Kinderbücher, in deren Zentrum das Mädchen Nan steht. Unter dem Pseudonym Pauline Schulz veröffentlicht Agnes aber auch Belletristik. Die Autorin hütet allerdings nicht nur ein Geheimnis. Davon werden im Laufe der Handlung ihre Tagebücher, die in einer Seemannstruhe verborgen sind, berichten.
Die gutmütige, manchmal naive und auch nervöse Polly hingegen ist mit dem ziemlich von sich überzeugten Universitätsdozenten für Philosophie und Ethik, Dick, verheiratet. Beide haben drei Söhne und hatten eine Tochter, die jedoch mit neun Jahren verstorben ist. Agnes hält wenig von Dick und hasst es, wenn Polly immer alles erst mal mit ihrem Ehemann besprechen muss. Auch ihr ältester Sohn James, er arbeitet in einer Investmentfirma, ist ähnlich seinem Vater auf seinen eigenen Vorteil bedacht.
Neuerdings beschäftigt Agnes und Polly ein ernstes Problem. Ein bekanntes Bauträgerunternehmen will Luxusapartments in der Nähe ihrer Häuser bauen.
Immer aus den Perspektiven von Agnes oder Polly wird von den Geschehnissen zwischen 2000 und 2008 erzählt. Und noch eine Figur berichtet aus ihrer Sicht und das ist die junge Lektorin Maud Silver, die zu gern mit Agnes zusammenarbeiten möchte und sie dazu bewegen will, ein Memoir über ihre Kindheit und die Entstehungsgeschichte der Nan – Kinderbücher zu schreiben. Agnes lehnt dieses Ansinnen vehement ab und doch entsteht zwischen den beiden Frauen im Laufe der Zeit eine enge Beziehung, denn auch Maud muss familiär schwierige Entscheidungen treffen.
Mit vielen Rückblicken, auch in die Geschichte der Quäker – Familie Lee, erzählt Alice Elliott Dark poetisch breit vom Leben der Frauen. Die ruppige und auch störrische Agnes sagt immer, was sie denkt und nimmt nie ein Blatt vor den Mund. Polly ist da eher vorsichtig. Als dann jedoch der Gärtner Robert Circumstances, angeblich wegen des Stehlens einer Diamantenhalskette, zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wird, ahnen alle, das dies nicht rechtens ist. Dick, und hier zeigt sich seine gute Seite, bleibt mit Robert per Post in Kontakt. Diesen Briefwechsel wird Polly nach Dicks überraschend schnellem Tod, weiterführen. Auch wenn beide Frauen sich bestens kennen, kommt es doch ausgerechnet nach der tragischen Ereignissen rund um den 11. September 2001 zu einem heftigen Zerwürfnis. Agnes braucht Polly mehr als sie zugeben will, aber diese sehnt sich mehr nach ihrer Familie. Durch Dicks Tod, gibt Polly sich nicht auf und widersetzt sich auch der Idee ihrer Söhne, ein Altenheim aufzusuchen.
Auf gut 731 Seiten schreibt Alice Elliott Dark in ihrem Roman, an dem sie siebzehn Jahre gearbeitet hat, sehr ausufernd, aber sprachlich fesselnd von Lebenswegen amerikanischer Familien, sie erzählt von schwierigen Schreibprozessen, Familienkonflikten, innigster Freundschaft zwischen sehr unterschiedlichen Frauen, Loyalität und vor allem steht im Zentrum dieses voluminösen Romans die Liebe zur Natur und die Emanzipation von Frauen.