Kenneth Oppel: Affenbruder, Aus dem Englischen von Gerold Anrich und Martina Instinsky-Anrich, Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 2015, 493 Seiten, €17,95, 978-3-407-81206-3
„Er durfte kein Schimpanse sein. Er musste ein Mensch sein.“
Bens Familie ist extra von einem Ende Kanadas in das andere gezogen, damit Bens Vater als Verhaltenspsychologe sein Projekt verwirklichen kann. Nur die Universität in Victoria finanziert die Idee, einem Schimpansenkind die Zeichensprache beizubringen. Ben, der Ich-Erzähler, ist über die Veränderungen nicht begeistert. Allerdings denkt er sich den Namen für das Tierbaby aus, Zan von Tarzan. Bens Mutter kümmert sich intensiv um den kleinen Schimpansen, der viel zu früh von seiner eigenen Mutter getrennt wurde.
Wie ein menschliches Baby wird das Tier behandelt. Bens Eltern bringen ihm die Zeichen für Mum und Dad bei. Ben jedoch ist unbehaglich bei der Vorstellung, dass er der Affenbruder sein soll. Er ist nicht eifersüchtig, er sieht den Schimpansen als Schimpansen und nicht als Mensch, der er nun sein soll.
Bens Mutter arbeitet an ihrer Dissertation über Fremdpflege und schreibt über Zan.
Langsam gewöhnt sich Ben an den neuen Ort, findet einen Freund und fühlt sich auch an der neuen Privatschule wohl, sicher auch weil Jennifer, die Tochter vom Chef seines Vaters, in seinem Jahrgang ist. Immer wieder gibt es jedoch Auseinandersetzungen mit Bens Vater, der viel von seinem Sohn erwartet. Aber Ben ist ein lausiger Schüler. Ben kann auch nicht verstehen, warum der Vater so wenig Zeit mit Zan verbringt und zu ihm keine Beziehung eingeht. Der Junge jedenfalls schließt das Affenkind immer mehr in sein Herz und das Zeichen für Umarmung ist das erste, dass Zan zu Ben macht. Eine kleine Sensation.
Ben und angeheuerte Studenten, u.a. auch Peter, versorgen den kleinen Affen am Tag und versuchen ihm mit Konsequenz Zeichen beizubringen. Aber Zan benimmt sich nicht wie ein Mensch, er sitzt nicht ordentlich am Tisch und isst brav sein Essen.
Er ist mal unruhig, mal verspielt, mal kreischend aufgeregt, mal in sich gekehrt, mal unberechenbar.
Ben versteht langsam, dass Zan für den Vater und auch die Mutter ein Versuchstier ist, das man nicht lieb haben sollte. Doch Ben kann das nicht. Als die Kameras im Haus angebracht werden, um Zan rund um die Uhr zu filmen, sagt er nichts. Als jedoch der sogenannte Lernstuhl angeschafft wird, an den Zan auch gefesselt wird, wenn er nicht spurt, regt Ben sich gemeinsam mit Peter auf. Nach einem Eklat mit einem Studenten, den Zan nach der Tortur auf dem Stuhl gebissen hat, muss Ben mit der Betreuung Zans aufhören. Seine Eltern wollen ihn aus dem Projekt herausnehmen, für das er sogar bezahlt wurde. Ben sei zu emotional und zu sentimental. Der Lernstuhl jedoch wird dem gesamten Projekt schaden. Die Fördergelder bleiben aus und Zan entwickelt sich nicht zu dem eifrigen Lerner, den Bens Vater erhoffte.
Als das Projekt nach zwei Jahren eingestellt wird, bleibt die Frage, wohin mit dem Affen. Er solle, da Eigentum der Universität, der Wissenschaft dienen. Ben befürchtet nun, dass Zan, den er mittlerweile wirklich liebt wie einen Bruder, für medizinische Experimente gequält werden könnte. Die Familie beschließt mit Peters Hilfe, ihn nach Nevada an die Universität zu bringen. Hier leben ebenfalls Schimpansen artgerecht in Gefangenschaft. Der Abschied fällt Ben schwer. Er sorgt sich um seinen Freund. Als Ben und seine Mutter Zan nach zwei Monaten besuchen, stellen sie fest, dass die Uni drei Affen für medizinische Versuche verkaufen will. Zan als jüngstes Tier ist dabei. Ben ist empört, denn die Verabredung war, den Affen leben zu lassen.
Ben und seine Mutter sehen nur eine Möglichkeit, sie entführen Zan und handeln sich mehr als Ärger ein.
Erst soll Zan ein Mensch sein, dann wiederum ein Schimpanse. Er soll klug sein, obwohl er ein Tier ist und er soll funktionieren. Als Zan in seiner Entwicklung retardierte, nicht mehr als vierzig Zeichen lernte und angeblich nicht eigenständig mit Sprache umgehen konnte, sondern nur imitierte, war Schluss. Ben glaubt, dass sein Vater ihn nicht lieben kann, weil er seinen Erwartungen nicht entspricht.
Thematisch wirft der flüssig, spannend und auch witzig geschriebene Roman viele Fragen auf. Er spielt zwar vor gut vierzig Jahren und doch bleiben alle Konflikte zwischen Mensch und Tier aktuell. Wie weit darf die Wissenschaft gehen? Sind Tiere wirklich nur Testexemplare für Experimente? Kommt der Mensch in seinem Wissensdrang ohne Tierexperimente aus?
Kenneth Oppel hat eine berührende Geschichte geschrieben, ohne die wirklichen Konflikte aus dem Auge zu lassen.
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