Johanna Rosen: Liberty Bell, Das Mädchen aus den Wäldern, Arena Verlag, Würzburg 2013, 375 Seiten, €15,99, 978-3-401-06804-6
„So wie sie da im Schlamm hockte, bekleidet wie eine Bettlerin, mit wirren, verfilzten Haarsträhnen, wenn man so wollte, sah sie wie eine Wilde aus.“
Sie nennt sich Liberty Bell und spricht nach drei Jahren Einsamkeit stockend und immer wieder nach Worten suchend. Tief in den Wäldern Oregons wird das rätselhafte Mädchen von einer Jungen-Clique gefunden. Ernesto, aber auch Salvador, Ronan, Jaden, Darayavahush und Mose betrachten dieses nackte Geschöpf der Natur fasziniert und zugleich befremdet, als sie blutüberströmt die Nutriaratten tötet. Wer ist dieses Waldmädchen? Wo stammt sie her?
Jaden und sein unsympathischer Cousin Cal wittern eine Sensation. Sie versuchen das Mädchen zu filmen, werden aber von Ernesto zurückgehalten. Schwer verletzt verlässt Cal Liberty Bells Hütte, denn sie weiß sich zu wehren. Immer wieder erzählt sie von der Schattenwelt, summt Lieder, spricht Unverständliches. Ernesto erfährt, dass Liberty Bells Mutter Annie Lyford heißt und gestorben ist. Mit ihr zusammen muss das Mädchen gut siebzehn Jahre im Wald gehaust haben.
Schneller als gedacht sind Presse, Polizei und Rettungsdienst im Wald und bringen Liberty Bell für Untersuchungen ins Krankenhaus. Ernesto aktiviert sogar seinen verhassten Vater, der als Schönheitschirurg eine bekannte Persönlichkeit in Old Town ist, um Liberty Bell zu besuchen. Mit Beruhigungsmitteln kalt gestellt, scheint das Mädchen nur zu schlafen. Durch seine einfühlsame und vor allem verständnisvolle Art schafft es Ernesto, zu ihr vorzudringen. Er ist der einzige, der weiß, dass sie sprechen kann. Es stellt sich heraus, dass Annie Lyford nicht ihre Mutter war. Aus gut betuchtem Hause suchte Annie einst ihr Seelenheil im Drogenrausch und verursachte den Tod ihres Babys. An Liberty Bell hat sie alles wieder gutmachen wollen, an einem ungewollten Baby, dass ein 14-jähriges, missbrauchtes Mädchen, namens Ruby, geboren hatte. Doch wer ist der Vater, wer ist der Kinderschänder? Und lebt Ruby noch und wo?
Seltsamerweise geschehen nach Liberty Bells Auffinden ein Mord und Unglücksfälle, die sich niemand erklären kann, die aber doch irgendwie mit der rätselhaften Herkunft des Mädchens zu tun haben müssen.
Zeitversetzt, mal in der Gegenwart, mal in der Vergangenheit, dann wieder aus dem Blickwinkel Ernestos erzählt Johanna Rosen, die laut Kurzbiografie eine renommierte deutsche Schriftstellerin ist, für dieses Jugendbuch aber ein Pseudonym benutzt, von den Geschehnissen rund um das seltsame Waldmädchen. Entstanden ist eine temporeiche Mischung aus Thriller und Liebesroman, denn zwischen Ernesto und Liberty Bell entsteht eine mehr als enge Bindung. Die so weltfremde Liberty Bell gewöhnt sich überraschend schnell an die für sie doch ungewohnte Umgebung, findet sogar Gefallen am Autofahren und Sex. Für den Backstein dicken Roman mit einem zu zahlreichen Figurenensemble spielt der existentielle Überlebenskampf im Wald keine Rolle, die Autorin konzentriert sich eher auf die Gegenwart und die Aufklärung der Ereignisse vor siebzehn Jahren. Überzeugend wirken die unterschiedlichen Freunde Ernestos, die Johanna Rosen durch ihre lebensnahen, auch witzigen Dialoge charakterisiert. Die Clique ist für Ernesto fast wichtiger als seine Familie, in der die Wärme und Aufmerksamkeit füreinander fehlt. Auch wenn die Auflösung in einem spannenden Showdown präsentiert wird, der Handlungsverlauf ist bei aller routinierten Dramatik stellenweise ziemlich konstruiert. Das mag an der rasend schnellen Eingewöhnungsphase des Mädchens, die als Zufall geschilderten Unfälle in der Vergangenheit oder an den hilflosen, wie gestörten Erwachsenen liegen, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen.
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