Amy Waldman: Der amerikanische Architekt, Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek, Schöffling & Co.Verlag, Frankfurt am Main 2013, 512 Seiten, €24,95, 978-3-89561-491-0
„Es war, als hätten zwei Jahre der Frustration, der Trauer und der Wut jetzt ein Ventil gefunden.“
Alles ist Fiktion, nichts genau benannt. Trotzdem weiß jeder, worum es geht, denn unvergesslich sind die Bilder, die sich jedem, der sie gesehen hat, eingeprägt haben: Die Türme des World Trade Centers an der Spitze Manhattans werden von zwei bewusst gesteuerten Flugzeugen als Waffen in Schutt und Asche gelegt. Weiße Staubmassen bedecken die fliehenden Menschen. Ein nationaler Alptraum.
Zwei Jahre danach soll eine 13-köpfige Jury über anonym eingereichte Vorschläge für eine Gedenkstätte am Ground Zero befinden. Uneinig sind sich die Mitglieder. Durch Claire Burwells enthusiastischen Einsatz, sie hat ihren Mann am 11. September verloren, lassen sich viele von dem Gartenentwurf als Mahnmal begeistern. Als jedoch der Umschlag mit dem Namen des Architekten geöffnet wird, bricht ein heilloser Meinungskrieg und ein Sturm der Entrüstung los. Mohammad Khan ist als Kind mit seinen Eltern aus Indien in die USA eingereist. Er ist Amerikaner, erfolgreicher Architekt und Moslem, ohne seine Religion zu praktizieren.
Schnell sickert die Information über die Entscheidung der Jury, die noch nicht von der Gouverneurin abgesegnet ist, zur Presse durch. Verschiedene friedliche, aber auch zu Gewalt neigende Gruppierungen bilden sich nun gegen und für Mohammad Khan, der sich in keinster Weise zu seinem Projekt äußern will. Claire Burwell wird misstrauisch, Gerüchte kursieren, Drohungen werden ausgesprochen, die Boulevardpresse, aber auch die Times stellt sich gegen den Moslem, der einen Garten für die islamistischen Terroristen entworfen habe und somit die amerikanische Nation verhöhne.
Aus verschiedenen Perspektiven beschreibt die amerikanische Autorin Amy Waldman nun die Reaktionen auf den selbstbewussten Architekten und sein Projekt, das nicht von patriotischen Gefühlen getragen wird, sondern eher ein Meilenstein auf seinem Karriereweg sein könnte. Die Jury setzt Mohammad Khan unter Druck und fordert von ihm öffentliche Bekenntnisse. Wäre er ein Nicht-Moslem, niemand würde das von ihm erwarten.
Immer klarer wird, dass viele Menschen nicht mehr differenzieren können zwischen den wahren Terroristen und ihren moslemischen Mitbürgern, die schon immer friedlich in Manhattan ihren Geschäften nachgegangen sind. Mit Vorsicht und extrem konservativen Ansichten verbreiten viele Menschen Gewissenskonflikte, die vor „nine eleven“ nie denkbar gewesen wären. Die Gedenkstättendiskussion wird zu einem fanatischen Glaubenskrieg, der die Gemüter bewegt. Sean Gallagher, ein Gelegenheitsarbeiter aus Brooklyn, hat seinen Bruder, einen Feuerwehrmann, verloren. Obwohl beider Kontakt nie so eng war, eröffnet sich plötzlich für Sean eine Aufgabe, die ihm Bedeutung gibt.
Eine öffentliche Anhörung soll vor der Entscheidung der Gouverneurin Stimmen und Meinungen sammeln. Zu diesem Zeitpunkt jedoch ist einfach viel zu viel geschehen.
Mohammad Khan durchlebt eine Zeit der völligen Verunsicherung. Er beginnt sogar an Rammadan an zu fasten, lässt sich einen Bart stehen, den er dann aber wieder kurz vor der Anhörung abnimmt. Claire fordert ihn nach einem persönlichen Gespräch in einer danach folgenden Pressekonferenz auf, seinen Antrag zurückzuziehen. Paul Robins, der Vorsitzende der Jury, hatte dies bereits kurz nach der Gewissheit, dass er die Ausschreibung gewonnen hat, versucht.
Eine junge, illegal in den USA lebende Frau aus Bangladesch, Asma Anwar, ihr Mann ist den Türmen umgekommen, spricht sich mit Dolmetscher bei der Anhörung offen für Khans Projekt aus und wird kurz vor ihrer Abschiebung ermordet.
Ein ganzes Kaleidoskop von menschlichen Regungen und Meinungen, ob nun die radikal-liberale Schickeria für Khan oder die vehement ablehnende Gruppierung „Save America from Islam“ gegen Khan, treffen aufeinander und zerreiben sich.
Es ist ein ausgekügeltes Gedankenprojekt, das Amy Waldman dem Leser anbietet, denn er fragt sich während der Lektüre selbst, wie weit Toleranz geht und wann Intoleranz gegen religiöse Lebensformen und Ansichten, vielleicht sogar unterbewusst, einsetzt.
Die Idee für ihr Buch hatte Amy Waldman schon Ende 2003. Mittlerweile wurde die Handlung von der Wirklichkeit eingeholt. Am zehnten Jahrestag der Anschläge wird die offizielle Gedenkstätte am Ground Zero eingeweiht werden. Unterdessen sorgte der Plan, ein muslimisches Gemeindezentrum zu errichten, für hitzige Diskussionen. Es soll ganz in der Nähe stehen, nur zwei Straßenzüge von Ground Zero entfernt. Für Amy Waldman zeigen diese Debatten, dass die Wunden von damals noch nicht verheilt sind. Deshalb müssen sich die handelnden Personen in ihrem Roman der Frage stellen, wie der 11. September 2001 ihr Leben verändert hat
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