Camilla Läckberg: Der Leuchtturmwärter, Aus dem Schwedischen von Katrin Frey, List Verlag, Berlin 2013, 475 Seiten, €19,99, 978-3-471-35080-5

„Sie versteckten sich und versuchten, sich unsichtbar zu machen. Das Muster wiederholte sich. Es war anders und doch gleich.“

Wer gespannt den letzten Krimi „Meerjungfrau“ zugeschlagen hat, kann nun im neu erschienenen Roman „Der Leuchtturmwärter“ erfahren, wie die hochschwangeren Schwestern Anna und Erica den schrecklichen Autounfall überstanden haben.

Es ist ein schmerzlicher Beginn, denn Anna hat ihren Sohn verloren. Sie findet kaum in die Familie zurück, verkriecht sich in sich selbst und scheint nicht mehr ansprechbar zu sein. Erica hat zwei gesunde Jungen geboren und kann im Gegensatz zu der Zeit mit ihrer ersten Tochter die Säuglinge ohne depressive Gefühle betreuen und genießen. Zwar bedrückt sie eine ungerechtfertigte Schuld Anna gegenüber, aber sie hat die Kraft auch wieder auf ihre Schwester zuzugehen.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht dieses Mal eine Schäreninsel, die von den Leuten die Geisterinsel genannt wird. Gräskär war vor gut 140 Jahren der Wohnort der jungen Emilie, die als Magd über ihrem Stand Karl, den künftigen Leuchtturmwärter, heiratete. Karl, Julian und Emilie wohnen auf der Insel, doch kaum sind die beiden verheiratet, wendet sich Karl von Emilie ab, duldet sogar, das Julian sie beschimpft und schlägt. Zuflucht findet die junge Frau nur bei den Geistern der Insel. Karls Vater fordert einen Erben und Karl, der Emilie nie anrührt, vergewaltigt sie im Beisein von Julian in einem Alkoholrausch, zu dem er auch seine Frau zwingt.

Gewalt gegen Frauen zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Roman. Fluchtort ist die Insel Gräskär auch für die einst so beliebte und bildschöne Annie, die früher mal in Fjällbacka gelebt hat und sogar mit Erica in eine Klasse gegangen ist. Seit dem Tod der Eltern gehört Annie sogar die Insel. Mysteriös beginnt der Roman. Annie fährt noch blutbefleckt mit ihrem fünfjährigen Sohn Sam zur Insel. Er spricht nicht, scheint einen Schock erhalten zu haben, denn es ist klar, Annies Mann ist tot. Ein Mensch, der sie anfänglich wohl geliebt hat, in dunkle Geschäfte verwickelt war und sie zum Ende hin nur noch demütigen konnte.

Parallel zu dieser Geschichte beginnt Patrik Hedström nach seinem Schwächeanfall und all den familiären Problemen mit seiner Frau Erica wieder seinen Polizeidienst. Mats Sverin wurde hinterrücks in den Kopf geschossen. Vor Kurzem ist er wieder von Göteborg in seinen Heimatort gezogen, nachdem er von einer Jugendbande schwer misshandelt wurde. Bei den Ermittlungen wird klar, dass dieser Überfall nicht spontan war, wie er der Polizei mitgeteilt hatte. Offenbar besteht ein Zusammenhang zwischen Mats früherer Arbeit bei einer Organisation, die Frauen in Not hilft. Madeleine ist mit ihren Kindern nach Dänemark geflohen, doch ihr Mann, ein Mitglied der gefürchteten Motorradbande Illegal Eagles, spürt sie auf. Mats und Madeleine hatten ein Verhältnis. Die Rückkehr zu ihrem Mann scheint für die geschundene Frau der einzige Ausweg zu sein. Sie wird ihn mit dem Tod bezahlen.

Auch Viviana und ihr Bruder Anders, die Organisatoren und Investoren eines neuen Wellnessclubs in Fjällbacka leben in den Erinnerungen an ihre von Gewalt geprägte Kindheit und werden selbst zu Kriminellen.

Wie immer in Camilla Läckbergs Romanen ist das Personaltableau zahlreich und wie immer treffen verschiedene Erzählstränge der Gegenwart, im weitesten Sinn auch Vergangenheit, am Ende aufeinander und ergeben dann erst einen Sinn. Im Kern der Geschichten um Fjallbäcka, wo auch die Autorin selbst lebt, stehen die Familienereignisse der Hedströms und ihrer Kinder, aber auch der Familie von Paula Morales und ihrer Lebenspartnerin Johanna.

Wie in allen Krimis wird schonungslos gezeigt, wie hilflos die Polizei in manchen Fällen ist, wie übereilige, unfähige Vorgesetzte kapitale Fehler begehen, nur um die Polizei ins rechte Licht zu rücken und wie stark die Gewalt gegenüber Frauen gerade in den Schattenbereichen ist.

Camilla Läckbergs Erzählstil zieht, auch wenn man eines ihrer Bücher zum ersten Mal in Händen hält, den Leser gebannt in die Handlung hinein, ihre Figuren agieren zum Großteil realitätsnah und sie vermeidet es, auch wenn sie über Gewalt schreibt, diese ausufernd zu beschreiben. Viele Details, die nur angedeutet werden, reichen aus, um sich das Ausmaß der Qualen dieser Frauen vorzustellen.
Warum sie ihrer Not nicht entfliehen können, wird ebenfalls plausibel erzählt, denn Camilla Läckbergs Geschichten berühren und bleiben immer nah am wahren Leben.