Jessi Kirby: Mondglas, Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Spang, Thienemann Verlag, Stuttgart 2012, 280 Seiten, €12,95, 978-3-522-20164-3
„ Schweigend sahen wir aufs Wasser hinaus und es fühlte sich an wie einer jener Momente, der von all dem belastet war, was wir nicht laut aussprechen wollten.“
Die 16-jährige Anna lebt mit ihrem Vater an der kalifornischen Küste. Gerade sind sie vom Norden in den Süden gezogen, dahin, wo einst Annas Vater seine Frau kennengelernt hatte und nun einen guten Job als Chef der Lifeguards antritt. Annas Mutter starb laut Erzählungen bei einem Unfall als das Mädchen sieben Jahre alt war. Über die Jahre hinweg haben Vater und Tochter wenig über die Mutter gesprochen, jetzt kehren plötzlich Träume und Erinnerungsfetzen zurück, die Anna beunruhigen. Allerdings erfährt die junge Frau auch einiges über die Mutter von fremden Menschen, die ihr am Strand begegnen. Zu den schönsten gemeinsamen Momenten zwischen Mutter und Tochter zählten einst die mitternächtlichen Strandspaziergänge und die Suche nach angeschwemmtem Meerglas, das Anna auch gern, wenn es besonders schön war, als Mondglas bezeichnete. Annas Mutter erzählte dann Geschichten von Meerjungfrauen und Legenden rund um die Glassterne aus dem Meer. Ein rot glitzerndes Mondglas hat Anna aufgehoben, mit ihm verbindet sich eine traumatische Szene, die langsam im Laufe der Geschichte in Annas Erinnerung zurückkehren wird. Das Meer ist Annas Lebenselixier, hier fühlt sie sich zu Hause. Kaum mehr sauer auf den Vater über den Umzug ist Anna, als sie ihr Strandhaus sieht. Anna lebt sich schnell in Orange County ein, lernt die unsensible, aber liebenswerte Ashley kennen, rebelliert gegen ihren kontrollsüchtigen, wie schweigsamen Vater, verguckt sich in den fast gleichaltrigen Lifeguard Tyler, treibt viel Sport und kommt ziemlich gut klar.
Und doch scheinen immer wieder Bilder in ihrem Kopf auf, die sich um ihre Mutter drehen. Zu einem Gespräch mit ihrem Vater kommt es ziemlich spät und dann brechen wie ein Damm alle Erinnerungen durch und Anna weiß wieder, was sie als siebenjähriges Mädchen gesehen hat.
Die amerikanische Autorin Jessi Kirby findet für ihren Debütroman eine einfühlsame, moderne und auch poetische Sprache, nie gleitet sie in eine falsche Gefühlichkeit ab, die das verunglückte Cover zu vermitteln scheint. Sie schaut tief ins Innere ihrer Hauptfigur und kann ohne kitschige Verrenkungen von einem Trauma erzählen, dass die junge Frau verarbeiten muss. Mag die Liebesgeschichte etwas klischeehaft geraten sein, so zeigt sich doch in Annas selbstbewusstem Verhalten, dass sie durchaus fähig ist, zu erkennen, was sich hinter schönen Fassaden verbergen kann.
Mit Schuld fertig werden ist ein zentrales Thema, dass immer wieder auch von verschiedenen anderen Figuren, wie zum Beispiel dem unheimlichen Mann, der auf Knien den Strand entlangrobbt, aufgegriffen wird.
Jessi Kirby erzählt eine wirklich anspruchsvolle, reale und ergreifende Geschichte, die zum Nachdenken anregt und Lust darauf macht, das Meer mit all seiner Faszination und seinem Gefahrenpotential zu erleben.
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