Ande Pliego: Mit tödlichen Grüßen, Aus dem Amerikanischen von Alexandra Kranefeld, Limes Verlag, München 2025, 496 Seiten, €17,00, 978-3-8090-2799-7
„Spielerische Selbstjustiz und ein bisschen Nervenkitzel, so war diese Woche gedacht gewesen. Die gelegten Spuren und abendlichen Krimi-Dinner sollten darin gipfeln, dass die Teilnehmenden mehr oder eher minder freiwillig ihre dunkelsten Geheimnisse preisgaben und ihre Sünden gestanden. So weit der Plan. Und hätten Alastor und ich einen guten Job gemacht, wäre er auch aufgegangen.
Jetzt jedoch hatten wir einen Toten. Rodrigo Sandoval, internationaler Bestsellerautor, war ermordet worden.“
Eine bestimmte Anzahl von Personen, die sich entweder aus früheren Zeiten kennen oder auch nicht, die allerdings etwas Bestimmtes verbindet, an einem isolierten Ort zu versammeln und dann Exempel zu statuieren, ist im Krimi-Genre eigentlich bereits zu oft durchexerziert worden. Ein völlig neuer Ansatz wäre gefragt, wenn man auf den Wegen von Agatha Christie oder anderen namhaften Autoren wandeln will. Ande Pliego jedoch hat ihn nicht gefunden und ihr sind auch logistisch leider einige Fehler unterlaufen.
Eingeladen vom mysteriösen Gastgeber J.R.Alastor, einem weltberühmten Krimiautor, dessen Gesicht und Herkunft niemand kennt, reisen sechs Schriftsteller an, die ebenfalls erfolgreich Kriminalromane veröffentlicht haben. Unweit von Maine hat Alastor die Privatinsel Wolf Harbor Estate gekauft und sich hier sein Refugium geschaffen. Eine Woche soll der Aufenthalt der sieben Autoren dauern, die sich alle ziemlich geehrt fühlen. Die Eventmanagerin Mila del Angél empfängt die Gäste und kümmert sich auch um den Koch und das Hausmädchen. Akribisch wurden die Tagespläne von Mila und Alastor, den sie nie gesehen hat und mit ihm nur per Messenger kommuniziert, ausgearbeitet. Zur Freude seiner Gäste hat Alastor eine Sammlung von den sogenannten Ikonen der Popkultur zusammentragen, u.a. das Messer aus dem Horrorklassiker „Psycho“. Neben den jungen Debütanten, Asthon Carter und Violet Blake sind weiterhin Rodrigo und Olivia Sandoval, Thomas Fletcher und Cassandra Hutchinson, die um die siebzig ist, angereist. Schnell wird klar, dass Alastor kaum die Absicht hat, seine illustren Gäste kennenzulernen. Mila hingegen hat den gut bezahlten Job nur angenommen, da sie sich an jemandem rächen und in den angeblichen Selbstmord treiben will.
Multiperspektivisch und ausufernd erzählt Ande Pliego aus den Blickwinkeln von Mila, Rodrigo, Cassandra und Ashton. Auszüge aus dem neuesten Werk von Alastor über die Erzählkunst ziehen sich wie ein roter Faden durch die Handlung und Kapitel aus den Krimis mit Beschreibungen der Morde der anwesenden Autoren, die mit den Namen der Gäste präpariert wurden, versetzen alle in Angst und Schrecken.
Denn kaum angekommen, gibt es auch schon die erste fein drapierte Leiche weit vom Haupthaus entfernt. Rodrigo, einst Anwalt, fühlt sich für etwas schuldig und scheint einem seiner Figuren aus dem eigenen Roman gleich hingerichtet worden zu sein. Der arrogante Fletcher, der sich zu gern über den jüngeren Asthon lustig macht, glaubt, dass diese Leiche nur ein Fake ist. Da das WLAN von Mila ausgeschaltet wurde, wird die Polizei nicht informiert. Auch nach der zweiten, dritten und vierten Leiche und Milas aufkommenden Zweifeln über ihre Rolle als vermeintliche Komplizin nimmt niemand Kontakt zur Polizei auf. Alle Gäste haben irgendwelche Leichen im Keller, d.h. sie haben Manuskripte oder Ideen gestohlen, Identitäten verändert, sind am Tod anderer schuldig geworden oder werden als Serienkiller enttarnt. Würden sie sich schuldig bekennen und selbstkritisch in die eigenen Abgründe sehen, könnten sie weiterleben. Doch wer ist nun der Racheengel, der alle Pläne für diese Woche in der Autorenresidenz durchkreuzt? Und wo ist das Motiv? Ist es einer oder eine der Anwesenden? Dass alle sich schon mal begegnet sind, wird auch mal so nebenher erzählt und wirkt etwas unlogisch.
Unklar ist, warum Mila nicht von der Person erkannt wird, an der sie sich rächen will. Obwohl dieser Roman fast fünfhundert Seiten umfasst, ergibt sich kein klares Bild von den einzelnen Figuren, die das Genre Krimi so lieben und ihrer individuellen Schreibweise. Die Morde an Koch und Hausmädchen wirken völlig überraschend und unnötig. Nur drei der angereisten Gäste werden die Insel traumatisiert verlassen und am Ende den Versuch unternehmen, zu analysieren, was eigentlich geschehen ist.
Der dramatische Erzählbogen für diesen Krimi funktioniert nicht, da die Handlung sich immer wieder zerfasert und die Whodunit – Auflösung mit den hintergründigen Motiven zu lang auf sich warten lässt.