Klaus Kordon: Das Karussell, Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 2012, 455 Seiten, €19,95, 978-3-407-81114-1

„Ihm schossen die Tränen in die Augen. Hatte er jemals zuvor etwas so Schönes geschenkt bekommen?“

In seinem neuen Roman erzählt Klaus Kordon die Lebens- und Liebesgeschichte seiner Eltern. Wer die autobiografischen Romane „Krokodil im Nacken“, „Brüder wie Freunde“, „Einer wie Frank“ und „Tage wie Jahre“ kennt, weiß um die Lebensgeschichte des Autors.

Klaus Kordon bezeichnet sich selbst als „Kind deutscher Geschichte“. Der Großvater blieb im Ersten Weltkrieg, der Vater verlor sein Leben im Zweiten Weltkrieg. Als Klaus Kordon 1943 zur Welt kam, war Krieg. Die 50er Jahre, Mauerbau, Kalter Krieg, das Leben in der DDR – Geschichte, sagt Klaus Kordon, war immer gegenwärtig, bis hin zum Stasi-Knast. In den 70er Jahren konnte er in den Westen ausreisen. Heute lebt er wieder in seiner Heimatstadt, in einer ruhigen Straße in Berlin-Steglitz. In seinem hellen, übersichtlichen Arbeitszimmer steht kein Computer, denn Klaus Kordon schreibt alle seine Manuskripte mit der Hand.

Parallel erzählt Klaus Kordon in seinem Roman „Das Karussell“ von der Kindheit und Jugend seiner Eltern, von Bertie, eigentlich Herbert, Lenz, seinem Vater (Manfred Lenz ist sein Sohn in „Krokodil im Nacken“) und von der Mutter, Lisa Gerber, die an der Rosstrappe in Thale groß geworden ist.

In einem Interview sagte Klaus Kordon zur Namenswahl: „ Es gibt in der deutschen Literatur so viel Lenz. Ich habe an Frühling gedacht, an jung sein und ich wollte einen kurzen Nachnamen haben.“

Bertie wohnt seit er sich erinnern kann in einem Waisenhaus, in einem gelben Berliner Backsteinbau. Er leidet unter der strengen Kontrolle der Pater und deren drastischen Züchtigungen und hofft immer, dass die Mutter, die ihn doch regelmäßig besucht, ihn irgendwann nach Hause holt. Doch Berties Mutter ist eine in sich verschlossene Frau, die kaum Emotionen zeigt. Wenn Bertie etwas vorgeworfen wird, und das wird sich auch später in der Schule und bei seinen Gefängnisstrafen nicht ändern, stellt sich die Mutter nie an seine Seite. Für sie hat er einen schlechten Charakter, ist ein Bastard, der ihr das ganze Leben verdorben hat. Sie gibt ihm alle Schuld an ihrem eigenen Schicksal. Als Dienstmädchen ist sie ungewollt schwanger geworden. Auch ihrer Schwester ist das passiert und die Eltern haben sich von beiden Töchtern abgewandt. Als die Mutter heiratet, hofft Bertie auch auf eine Veränderung in seinem Leben, aber die Mutter besucht ihn weiterhin und schweigt. Als sie schwanger ist, kann Bertie seinen inneren Aufruhr nicht mehr beherrschen. Er ist tief enttäuscht.
Greta, seine Halbschwester, wird ihm bei einem Besuch ein rotes, wunderschönes Karussell mit Pferden schenken, eine Gabe, die Bertie, obwohl er schon viel zu alt für dieses Spielzeug ist, tief berührt.

Wahre Menschen und ihre Schicksale lebendig beschreiben, auch wenn die aufscheinenden Erinnerungen spärlich sind, das sind Klaus Kordons große Momente. Er kann sich in Menschen hineinversetzen und ihnen eine glaubwürdige Lebensgeschichte auf den Leib schneidern. Klaus Kordon sagt: „Es passiert mir einfach, das klingt jetzt komisch. Das ist ein Talent. Es ist mein Wunsch, dass es lebendig sein soll. Ich lese historische Romane und die Figuren sind manchmal einfach nur Pappkameraden. Im Mittelpunkt meiner Romane sollen Menschen mit ihrer Geschichte stehen. Die Fakten und das Material kann später eingebaut werden. Wenn ich beim Schreiben merke, das lebt nicht richtig, dann würde ich aufhören. Wichtig ist, wenn ich anfange, dass diese Menschen, über die ich schreibe mit all ihren guten wie schlechten Seiten in mir drin sind, mir nahe sind.“

Klaus Kordons Mutter stirbt, da ist er 13 Jahre alt. Aber vorher, so berichtet er im Nachwort, hat er seine Mutter über die Geschichte seiner Familie und seinen Vater ausgefragt. Vieles von dem was der Autor über Bertie Lenz erzählt, mag erfunden sein und doch klingt es überzeugend.
Bertie und Lisa treffen sich zum ersten Mal in einer typischen Berliner Eckkneipe, Prenzlauer Allee Ecke Raumerstraße. Sie heißt „Zum Ersten Ehestandsschoppen“. Hier ist Lisa die Wirtin und Eigentümerin noch mit Georg John verheiratet.
Sie rettet den angetrunkenen und gegen die Nazis hetzenden Bertie vor den SA-Schergen, unter denen sogar ein ehemaliger Freund von Bertie ist.

Wie kein anderer Schriftsteller verknüpft Klaus Kordon lebendiges, szenisches Erzählen mit einer bildhaften Sprache. Wenn man in seinen autobiografischen Erinnerungen liest, dann scheint es so zu sein, als würde man an Berties Seite durch die Stadt laufen, würde Lisa in ihrer Kneipe sehen und all die Gäste reden hören.
Auch wenn der Leser immer aus dem Blickwinkel von Bertie und Lisa die Handlung verfolgt, bleibt doch die Möglichkeit atmosphärisch dicht Lokalkolorit zu beschreiben, aber auch die politischen Ereignisse und Diskussionen, die die Menschen bewegen. Der Autor kann frei hinzuerfinden und ist nicht an die wahren Ereignisse gebunden, obwohl vieles wirklich so stattgefunden hat.

Klaus Kordon bleibt sich in seinem Schreiben immer treu. Realistisch und vor allem verständlich vermittelt er Lesern ein Bild von der Zeit des I. und II. Weltkrieges, der die Generationen geprägt hat. Der jetzt 69-jährige Autor packt seine Leser nicht in Watte, er mutet ihnen vieles zu und weiß, dass sie das auch verkraften können. Der Erfolg seiner bisherigen Bücher gibt ihm Recht