Romy Hausmann: Himmelerdenblau, Penguin Verlag, München 2025, 464 Seiten, €18,00, 978-3-328-60428-0
„Zwei Menschen, die so viel verloren hatten und nicht wussten, wohin mit ihren widersprüchlichen Emotionen. … Liv durfte es nicht vermasseln. Sie wollte nicht der Grund sein für die letzte Enttäuschung in Theo Novaks Leben.“
Vor zwanzig Jahren wurde Theo Novaks Tochter Julie im Alter von sechzehn Jahre in Berlin entführt. Der bekannte und im Beruf sehr erfolgreiche Chirurg Theo Novak, seine Frau Vera und seine Tochter Sophia stehen unter Schock. In ihrer Grunewald-Villa tummelt sich die Polizei, obwohl die Entführer in ihrer Botschaft, die sie auf einem Computer im Haus der Novaks hinterlassen haben, vor jeglichem Kontakt mit Behörden gewarnt haben. Eigenartig ist, dass
nur 30 000 Euro gefordert werden. Zu einer Lösegeldübergabe jedoch ist es nie gekommen. Nach so langer Zeit greifen nun die Podcaster den Cold Case auf, unter ihnen Liv Keller und der Journalist Philipp Hendricks, die ein Paar sind. Ohne wahre Gefühle für die Hinterbliebenen schlachten sie den Fall, bei dem angeblich die Polizei völlig versagt hat, aus. Theo Novak, der verzweifelt mit all seinem Geld die Krebserkrankung seiner nun toten Frau finanziert hat, dämmert in seiner kleinen Wohnung in Spandau langsam in die Demenz. Seine Tochter Sophia lebt in Weißensee, möchte mit ihrem Mann ein Kind adoptieren und muss doch ständig auf ihren Vater achtgeben, den sie immer wieder in der unbewohnten, aber vorgeblich verkauften Villa im Grunewald antrifft.
Romy Hausmann erzählt multiperspektivisch und lässt Theo, Liv, Vera, Sophia und weitere Personen zu Wort kommen. Theo kreiert in seinen Ausführungen bedingt durch die einsetzende Krankheit immer wieder neue Worte. Auch Daniel, dem Altenpfleger, gibt die Autorin eine Stimme. Er war der damalige, viel zu alte Freund der entführten Julie, von dem sie sich allerdings getrennt hatte, nachdem ihre Eltern darauf bestanden. Dass er der Entführer hätte sein können, war die erste Vermutung des Ermittlers Bergmann, der nun pensioniert ebenfalls von Liv interviewt wird. Weiterhin glaubte die Polizei damals, dass familieninterne, gewaltsame Konflikte die Ursache dafür waren, dass Julie vielleicht nur abgehauen ist und ihre Entführung selbst inszeniert hatte.
Trotz eines heftigen Streits zwischen Sophia und Liv, die sich durch die Interviews und vielleicht sogar die Lösung des Falls der verschwundenen Julie Novak unbedingt profilieren will, beginnt die junge Frau ihr Interview mit Theo, der phasenweise völlig ins Dunkle abdriftet. Doch was könnte er durch seinen dementen Zustand vielleicht ausplaudern? Und vor allem, wie kann es sein, dass er plötzlich eine Mail erhält, die nur Julie geschrieben haben kann? Denn sie hat sich dieses eine Wort ausgedacht.
„Keine Anrede, stellt Liv fest. Nur der Text, nur ein einziges Wort:
Himmelerdenblau.“
In ihrem dicken Roman umkreist Romy Hausmann sprachlich überzeugend das Psychogramm der Zerstörung einer Familie, in der von außen betrachtet, alles gut funktioniert hat. Entstanden ist ein sehr feiner psychologischer Spannungsroman, dessen Sog man sich kaum entziehen kann. Und an dessen Ende, mit Seitenhieben gegen dilettantische True Crime Podcasts, alles völlig überraschend anders ist, als die Lesenden vielleicht vermutet haben.
Empfehlenswert!