Elisa Hoven: Dunkle Momente, S.Fischer Verlag, Berlin 2025, 336 Seiten, €22,00, 978-3-10-397669-4

„So ist es mit der Wahrheit, wir brauchen sie, wir wollen sie kennen, selbst wenn es uns nichts als Schmerz bereitet. Ich musste wissen, woran ich mich beteiligt hatte, wie groß meine Schuld war.“

Elisa Hoven ist Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig und Richterin am Sächsischen Verfassungsgericht. In ihrem neuesten Buch schlüpft sie in die Figur Eva Herbergen, die gut dreißig Jahre als Strafverteidigerin tätig war und sich nun dazu entscheidet, ihr Berufsleben zu beenden. Viel hat sie erlebt und ein Fall belastet sie besonders. Indem sie von besonderen Straftaten und Entscheidungen vor Gericht schreibt, kann die Autorin in dieser Romanform auch die Vorgeschichten erzählen und somit für die einzelnen Personen, die sich strafbar gemacht haben, bei den Lesenden Verständnis, aber auch Abscheu erzeugen. Und immer stehen diese Fragen im Raum: Was ist Recht? Was ist Gerechtigkeit? Und gibt es den perfekten Mord?
Natürlich sind Menschen verärgert, wenn osteuropäische Banden Häuser und Villen ausspähen und am helllichten Tag ausrauben. Doch hat ein Bestohlener das Recht, den flüchtenden jungen Mann aus Rumänien einfach so von hinten zu erschießen? Nein, natürlich nicht. Allerdings hat sich der bestohlene, alte Mann bei Eva Herbergen kundig gemacht, wie er einen Tatort fingieren muss, um einer Strafe zu entgehen. Allerdings wusste die Strafverteidigerin zu diesem Zeitpunkt nicht, dass sie ihrem einstigen Mandanten die besten Tipps gegeben hatte. Besonders beeindruckend ist der Fall, bei dem sich Selma, eine junge Studentin, aus wahrer Überforderung am Tod eines Kindes schuldig macht. Das Gericht wird sie freisprechen, denn sie hat nicht aus Absicht der vierjährigen Kira geschadet. Doch Selma will eine Strafe erhalten, denn sie kann nicht glauben, dass sie einfach so davonkommt. Selma ist liiert mit dem zehn Jahre älteren Patrick, der sich um sein Kind aus erster Ehe kümmern will. Allerdings wälzt er alle Verantwortung auf seine Freundin ab, die sich nicht gegen ihn, auch aus Liebe, wehren kann. In der Zeit, wenn Kira beim Vater ist, hat dieser Termine ohne Ende, sogar am Wochenende. Kira ist ein verwöhntes, viel zu dickes Kind, dem die Eltern kaum Grenzen setzen. Das Mädchen ist aggressiv, launisch, ohne Freunde und sie schlägt nach jedem, wenn sie nicht ihren Willen bekommt. Nach einer äußerst heftigen Szene ertrotzt das Kind viel zu viel Pudding und kippt sich sogar vermeintlich Zucker in die Schale. Allerdings ist es kein Zucker, sondern Salz. Selma, am Ende ihrer Nerven, zwingt die keifende Kira die Mischung aus Salz und Pudding zu essen. Sie konnte nicht ahnen, dass der hohe Nitratgehalt zu einer Vergiftung führt, die das Kind nicht überleben wird. In einem anderen Fall dreht sich wirklich alles um den perfekten Mord, den Eva Herbergen sogar durch ihre Kenntnisse der polizeilichen wie gerichtlichen Arbeit unter Vortäuschung falscher Tatsachen sogar in die Wege leitet. Bei einem anderen Fall hat der Angeklagte, der angeblich seine Mutter getötet hat, sogar die Strafverteidigerin manipulieren können, was sie nie für möglich gehalten hätte. Er jubelt den Mord dann geschickt seiner geldgierigen Ehefrau unter und geht straffrei aus. Dabei war er wirklich der Täter und gibt dies am Ende auch unverhohlen zu. Das kann allerdings Eva Herbergen nicht akzeptieren. Doch einmal frei gesprochen, kann man nicht für das gleiche Vergehen erneut vor Gericht stehen.
Bei einem Fall hat sich Eva Herbergen, so ihre eigene Meinung, schuldig gemacht und dieser schließt am Ende den spannenden Band auch ab.

Elisa Hoven geht, was die Rechtsprechung betrifft, bei ihren gut geschriebenen neun Fällen nie zu genau ins Detail. Für sie ist der Hergang der einzelnen Taten wichtig und die Hintergründe, die einzelnen Schicksale, die zu Mord, Vergewaltigung oder Totschlag führen. Die Lesenden schauen in menschliche Abgründe und empfinden andererseits auch Mitleid und Empathie. Dabei dreht es sich um „dunkle Momente“, die sich auf die Taten beziehen, aber auch „dunkle Momente“, die die Strafverteidigerin durch ihr eigenes Fehlverhalten selbst erlebt.