Leon de Winter: Stadt der Hunde, Aus dem Niederländischen von Stefanie Schäfer, Diogenes Verlag, Zürich 2025, 272 Seiten, €26,00, 978-3-257-07281-5
„Ohne es zu merken, lebten die Juden in der Stadt der Hunde. Und er verstand jetzt auch, warum das so war. Sahen Hunde nicht immer nur das Beste in ihren Herrchen und Frauchen? … Und war es nicht tragisch, auf den Straßen Tel Avivs den Beweis dafür zu finden, dass der Hund von allen Völkern der Welt dieses geprügelte, gedemütigte und gehetzte Volk am meisten liebte?“
Der bekannte Neurochirurg Jaap Hollander, der für seine Perfektion berüchtigt ist, lebt allein für seinen Beruf. Gut aussehend wie Al Pacino, Jaap verbindet gern Menschengesichter mit berühmten Hollywoodgrößen oder Sängern, kann er sich die Frauen, insbesondere Krankenschwestern in Amsterdam aussuchen. Allerdings hat Nicole, sie gleicht der Sängerin Blondie, ihn erwählt, lässt sich schwängern und Jaap fühlt Verantwortung. Er heiratet sie, schlittert in eine unglückliche Ehe und unterhält ein Verhältnis mit einer Frau in Tel Aviv. Zwar liebt er seine Tochter Lea, versteht aber kaum ihren Wunsch als Tochter eines Juden, der nicht religiös ist, zum Judentum übertreten zu wollen. So reist die junge Frau nach Israel und wird nie wieder zurückkehren. Alle Recherchen ergeben, dass sie zuletzt mit ihrem offensichtlich amerikanischen Freund, Joshua Pollock, in Negev-Wüste gesehen wurde. Sogar Überreste von ihrem Rucksack wurden gefunden. Jahr für Jahr wird Jaap mit Nicole, dann zehn Jahre später nach der Scheidung allein nach Beerscheba zurückkehren. Zu Hause sitzt er in seiner 800 m² großen Villa und fragt sich, was er nun zur Pension gezwungen mit seinem Leben anfangen soll. Er renoviert sein Haus, findet eine hingebungsvolle Geliebte, die Claire Danes mit zwanzig Kilo mehr auf den Hüften ähnelt. Finanziell gut gestellt sucht Jaap wie jedes Jahr nach seiner Tochter. Ein Geologe soll den Krater und seine Höhlen in der Nähe des Fundortes, wo sich die Spur der Tochter und ihres Freundes verliert, absuchen. Doch dann wendet sich die realistische Handlung des Romans in eine völlig neue geopolitisch, internationale Richtung. Jaaps medizinische Fähigkeiten sind gefragt, denn der steinreiche Herrscher eines arabischen Landes erbittet über den israelischen Ministerpräsidenten um seine Hilfe. Seine Tochter, die angeblich seine Nachfolge antreten soll, ist an einer schweren Fehlbildung im Gehirn erkrankt. Nur Jaap scheint in der Lage zu sein, die siebzehnjährige Frau zu heilen. Doch nach all seinen Untersuchungen glaubt er, dass dies ein völlig unmögliches Unterfangen ist. Mit der Aussicht auf ein Vermögen und der Gewissheit, dass er damit die Krater auf der Suche nach Lea Millimeter für Millimeter absuchen kann, lässt er sich auf eine zeitraubende wie aussichtslose Operation ein.
Ein Mann, der alles verloren hat, soll nun eine junge Frau retten, die seine Tochter sein könnte.
Diese besessene Suche nach dem verlorenen Kind, gleichzeitig aber auch eine Studie über Beziehungen zwischen Töchtern und Vätern, und die Hoffnung des arabischen Königs, dass seine Tochter nicht sterben wird, ergibt eine Parallele zwischen den so unterschiedlichen Männern.
Denkt der eine realistisch und irgendwie doch auch heillos obsessiv fanatisch, so betet der andere um das Leben der Prinzessin.
Wird diese Operation Jaaps Untergang sein oder doch ein Licht am Horizont kann nicht verraten sein. Dass Leon de Winter seiner Hauptfigur, und hier kippt die Geschichte über den doch auch zynisch auf die Welt sehenden Mann ins Irreale, dann ebenfalls einen Tumor andichtet und damit auf magische Weise ihn in einen Traum von sprechenden Hunden und neuen auch religiösen Sichtweisen und Einsichten schickt, überzeugt nicht vollends. Zumal der Roman am 6. Oktober nicht weit entfernt vom Gaza – Streifen endet und jeder ahnen kann, was geschehen wird.