Neil Smith: Jones, Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek, Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2024 , 304 Seiten, €19,99, 978 3 7317 0009 8
„Seine Augen füllen sich wieder mit Tränen, und sie tätschelt seinen Kopf. Weiß sie, dass er inzwischen die Wahrheit kennt? Vielleicht. Schließlich kann sie sich in seinen Kopf hineinversetzen. Eine Weile liegen sie einfach nur da, ohne zu reden, atmen einfach nur, und ihrer beider Atem bedeutet, dass sie wie durch ein Wunder noch leben.“
Eli und Abi Jones sind Geschwister, die sich oft selbst überlassen innigst lieben und gemeinsam einen Traum verfolgen, ihre sogenannte Große Flucht. Noch wohnen sie bei ihren Eltern, Joy und Pal, die gefühlt alle zwei Jahre den Jobs hinterher ziehen und zwischen Kanada und den USA pendeln. Die Lesenden lernen die beiden Kinder kennen, da sind sie sieben und neun Jahre alt. Eli und Abi führen ein Heft, in das sie alle möglichen neuen Worte schreiben, um ihren Sprachschatz zu erweitern. Die extrem schlanke Abi hofft auf eine Karriere als Model. Joy, die pausenlos raucht, muss viel arbeiten, denn Pal, der durch den Koreakrieg gezeichnet ist, landet ab und zu in der psychiatrischen Klinik. Wenn ihr etwas nicht passt, dann schlägt sie rücksichtslos zu. In Elis Fantasie spielen sich viele Szenarien ab, um seine Eltern zu töten. Ohne es wirklich zu verstehen, die Lesenden wissen natürlich, was in diesem tragischen Moment passiert, entdeckt Eli, dass Pal abends zu Abi geht. Im Nachhinein wird deutlich, dass der Vater seine Tochter seit dem dreizehnten Lebensjahr sexuell missbraucht. Joy lamentiert nur darüber, dass alle ihr die Schuld geben werden. In dieser toxischen Atmosphäre versucht Abi schnell auszuziehen und Eli flieht zu seinem Patenonkel nach Kanada. Die Suche nach sich selbst bringt beide Geschwister im Laufe der Zeit in völlig neue Fahrwasser.
Trotz jahrelanger Psychotherapien wird Abi nie ihr Gleichgewicht finden und immer wieder versuchen, sich selbst zu töten. Auch wenn die Geschwister letztendlich zusammenleben werden, kann Eli die Schwester nicht retten. Dabei verbindet beide so vieles, die Liebe zur Literatur und Sprache, aber auch die Fotografie.
Keine Frage, dieser Roman hat nur wenige komische Momente, denn er erzählt von einer dysfunktionalen Familie, in der die Kinder kaum erfahren, was wahre Elternliebe ist. Um so mehr gehören sie zusammen und können einander doch nicht helfen. Tragisch!