Marco Balzano: Damals, am Meer, Aus dem Italienischen von Maja Pflug, Kunstmann Verlag, München 2011, 224 Seiten, €17,90, 978-3-88897-726-8

„Ich blickte hinaus und dachte, dass manchmal die Worte eines anderen genügen, damit man etwas ins Herz schließt.“

Drei Männer begeben sich auf eine Reise, auf eine Reise in die Vergangenheit, aber auch zu sich selbst und der Frage, wo bin ich zu Hause.
Der Erzähler ist der jüngste von den dreien, Nicola Russo. Er ist in Mailand aufgewachsen, in der Stadt, in die die Familie Russo aus dem fernen Apulien gezogen ist, um ein besseres Leben zu finden. Sein Vater Riccardo ist noch in Barletta geboren, dem Ort, wo die Familie immer noch eine Wohnung besitzt. Großvater Leonardo, Analphabet und einst Kommunist, leidet darunter, dass die Familie langsam verfällt. Seine vier Kinder haben sich über Differenzen um die vernachlässigte Wohnung, Geldgeschichten und verletzter Zuwendung still und schleichend voneinander entfernt und seine leicht hysterische Frau will die Wohnung als Zufluchtsort und letzte Bindung an die Heimat unbedingt behalten. Doch Leonardo und Riccardo sind sich einig, niemand nutzt die Wohnung, der Putz fällt von den Wänden, die Tauben bewohnen die Terrasse, sie muss verkauft werden.
Aus der Ich-Perspektive erzählt der 26-jährige Nicola nun von dieser wehmütigen Reise mit Opa und Vater. Er sitzt auf dem Rücksitz des Fiat Punto und fühlt sich wie ein Kind in vergangene Zeiten zurückversetzt. Nicola, der nach dem Studium als Lehrer keine Stelle findet und auch nicht so richtig sucht, sondern eher die Tage in der Bibliothek und mit Freunden verplempert, und sein immer mehr in sich gekehrter Vater finden keine gemeinsame Gesprächsebene. Alle drei Männer pflegen einen eher derben Ton miteinander, einen Familienton, der leicht ruppig wirkt. Für den Großvater, der glaubt, diese Fahrt ist seine letzte, kommen Erinnerungen auf, an den Krieg und die Nachkriegszeit. Riccardo, immer noch zerrissen zwischen der alten und neuen Heimat, entsinnt sich und reflektiert über seine Kinderheitserinnerungen. Er hat sich im Laufe der Jahre verändert, ist in Nicolas Erinnerung von einem lebendig-leichtfüßigen Mann zu einem in sich gekehrten, schweigsamen Griesgram und Patriach geworden – keine Chance an ihn heranzukommen.

Eher trüb sind die Gedanken aller drei bei der Ankunft. Das Meer ist verdreckt und ähnelt einer Jauchegrube, Barletta hat sich verändert und die Wohnung ist mehr als nur heruntergekommen.

Immer wieder in den ortsüblichen Dialekt verfallend, suchen die Männer nach Bekannten, treffen kaum jemanden oder platzen in eine Beerdigung von einem ehemaligen Freund des Großvaters hinein.

Es heißt für alle drei Abschied nehmen vom letzten Verbindungsglied zur Heimat und dem Ursprung der Familie. Verfall und Wehmut begleiten die episodenhafte Erzählung.

Marco Balzano lässt in seinem Debüt die durchweg männlichen Protagonisten sehr linear erzählen und fängt in unterschiedlichen Erzählformen die Stimmungen der einzelnen Figuren ein.

Nicola hängt am allerwenigsten an der alten Heimat. Sein Vater jedoch spürt die Zerrissenheit und sein Großvater wiederum zweifelt nach den vielen Jahren, ob die Entscheidung wegzugehen die richtige war. Das Heimweh bleibt seine Lebensbegleiter.