Richard Powers: Das große Spiel, Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné, Penguin Verlag, München 2024, 512 Seiten, €26,00, 978-3-328-60371-9

„Das einzige Treffen, bei dem sich alles anfühlte wie in alten Zeiten – Rafi und ich kramten fröhlich in unseren Strategiepapieren -, würde sich später als der Todesstoß für unsere Freundschaft erweisen.“

Zwei Freunde aus unterschiedlichen Welten verbindet eines, die Leidenschaft für Spiele. Der hochbegabte Rafi Young stammt aus einfachen Verhältnissen und hat es als Afroamerikaner schwer, in einem Bildungssystem weiterzukommen, dass eher für Weiße gedacht ist. Doch sein Vater hat dem Jungen sehr früh das Lesen eher aufgezwungen als wirklich mit Liebe beigebracht. Doch Rafi liest alles, was ihm in die Finger kommt. Todd Keane dagegen lebt in einem Schloss in Evanston in Chicago, und für ihn steht die Welt offen. Sein Vater bringt dem Jungen das Schachspielen bei.
Richard Powers lässt seine Figur Todd aus der Ich-Perspektive erzählen. Im Wechsel von Gegenwart und Rückblenden tauchen die Lesenden in den Kosmos einer ungleichen Freundschaft ein, die stark geprägt ist von Konkurrenzdenken, aber auch der Einsamkeit von Außenseitern. Rafi und Todd messen sich in Spielen. Es beginnt mit dem Schachspiel und wird dann im Laufe der Zeit
in Computerspiele übergehen, deren Faszination jedoch Todd mehr ergreifen wird als Rafi, den Büchernarr.
Aus der personalen Erzählperspektive lernen die Lesenden zu Anfang in der Gegenwart Rafi kennen, der mit seiner Frau Ina Ariota und den Kindern auf der Insel Makatea im Pazifik unweit von Australien lebt. Eine Insel, deren Phosphatvorkommen in den 1960er Jahren gnadenlos ausgebeutet wurden. Ina schafft als Künstlerin Skulpturen und gleich zu Beginn des Seiten starken Romans zieht sie bei einer Wanderung am Wasser als Strandgut aus dem angeschwemmten Kadaver eines Vogels diverse Plastikdinge. Ein bitterer Einstieg in die Handlung, denn man wähnt sich auf einer traumhaften Insel mit berühmten Ruinen.
Parallel zu den Geschichten um Rafi und Todd spielt eine ungewöhnliche Frau aus Kanada eine wichtige Rolle. Sie heißt Evelyne Beaulieu, die mit zwölf Jahren all ihre Ängste verlieren wird, als ihr Vater an ihr seine Erfindung, eine sogenannte Aqualunge, einen Atemregler testet. Seit diesem Augenblick ist das Tauchen ihre Leidenschaft und noch mit zweiundneunzig Jahren wird sie Mantarochen beobachten, von ihrer Anmut schwärmen und registrieren, wie gefährdet diese Spezies ist. Evelyne ist die erste Frau, die 1953 an der Duke University Meereskunde studiert und bei einer Sonderexpedition mit siebenunddreißig Männern ein neues Tauchboot besteigen wird. Sie kann nur darüber lächeln, dass Männer sie gern belehren und sie unterschätzen. Spät wird sie jedoch entdecken, was sie auch privat wirklich im Leben will. Da ist sie schon verheiratet und hat zwei Kinder. Jetzt lebt sie immer noch vom Meer begeistert, aber auch besorgt auf der Insel Makatea.
Im Gedankenstrom von Todd, der sich wie ein roter Faden durch die Handlung zieht, taucht immer wieder Rafi auf. Beide spielen das Spiel der Götter, Go, sie fabulieren über Spiele und deren Rafinessen. Als Todd dann sich dann später im Zuge der Entwicklung der Computerspiele ein Imperium mit einem erfolgreichen Spiel aufbaut, denkt er oft an seinen Freund, von dem er sich entfernt hatte. Mag es Rafis neue Liebe zu Ina gewesen sein oder beider Konkurrenzdenken.
Als Todd dann die Diagnose Lewy-Körper-Demenz erhält, nimmt er wieder Kontakt zu Rafi auf. Doch dieser erwartet von ihm nur eine Geldzahlung für seine Spielideen. Eine bittere Erkenntnis.
Allerdings plant Todd in internationalen Gewässern genau auf der Insel, auf der Rafi lebt, ein einmaliges gigantisches Geschäftsvorhaben und Wohnprojekt, genannt Seasteading, eine Gesellschaft der Zukunft auf dem Boden des Meeres. Die zweiundachtzig Einwohner der Insel müssen darüber abstimmen, ob sie dem reichen Amerikaner, also Todd, den Zugang gewähren. Rafi ahnt, dass es nun zu einer Begegnung mit Todd, kommen wird.

In einem Zeitraffer-Tempo durchstreift Richard Powers die Entwicklung des Internet bis hin zur neuesten KI. Auf der anderen Seite erlebt man Menschen wie Rafi, die weiterhin Bücher lieben und zu Beginn nicht dem schnöden Mammon folgen. Wie schwer die Meere von Klimaveränderungen, insbesondere der Erwärmung und Müll betroffen sind, spielt ebenfalls in diesem exzellenten, atmosphärisch so dicht erzählten so aktuellen wie fesselnden Roman eine Rolle und die Aussicht auf eine ungewisse Zukunft.