Inge und Isabel Kloepfer: Glucken, Drachen, Rabenmütter, Wie junge Menschen erzogen werden wollen, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2012, 285 Seiten, €19,99, 978-3-455-50251-0

„ Und auch meine Zweifel in Bezug auf den Sinn, Kinder zu befragen, wie sie gern erzogen werden wollen, wichen schrittweise meinem wachsenden Interesse an ihren Antworten, von denen ich alsbald gar nicht genug bekommen konnte.“

Erziehungsberater überschwemmen den Markt. Die Empfehlungen der Autoren reichen von hartem Drill bis liebevoller Fürsorge, mal wird den Eltern Gelassenheit empfohlen und dann wieder, wie bei der „Tigermutter“ vorgeführt, eine konsequente Hand, die nichts dem Zufall überlässt. Doch ist Talent mit viel Fleiß antrainierbar, muss mein Kind im Mutterbauch bereits Mozart hören oder später ein Instrument spielen, um intelligenter zu werden? Alles Themen, die Inge Kloepfer in ihrem Buch anspricht.
Initialzündung des Sachbuchs war jedoch eine Disput mit ihrer 14-jährigen Tochter Isabel, die der Meinung ist, auch Kinder könnten man mal fragen, wie sie erzogen werden oder erzogen werden möchten. Tut ihnen der Druck, den Eltern offensichtlich laut öffentlicher Diskussion, ausüben, gut oder führt er sie in depressive Zustände oder gar ins Abseits. Immer wieder hört man Klagen über Selektion, Notenstress, Kopfschmerzen, Depressionen, Hyperatkivitäts- und Essstörungen. Ein weiteres Stichwort, das höchste Verunsicherung auslöst: Das Drama der Schulzeitverkürzung.
Doch wer ist eigentlich gestresster und von Unsicherheit geplagter, die Jugendlichen oder die Eltern?
Isabel jedenfalls verschickt an 120 Jugendliche Fragebögen, um sich kein repräsentatives, aber doch ein Bild davon zu machen, ob die Befragten unter Leistungsdruck stehen und von ihren Eltern gemartert werden. Außerdem sollen sie angeben, ob sie froh mit ihrem Leben sind und welche Erziehungsnote sie ihren Eltern geben würden.

Auch wenn in den Familien oftmals die unterschiedlichsten Sprachen gesprochen werden, geschickt wurden die Fragebögen eindeutig in bildungsorientiere Familien, ob nun gut oder besser verdienend spielt keine Rolle.
Schüler, die sich aus eigener Kraft durch die Schuljahre ackern müssen, ohne Beistand der Eltern, und diese Gruppe ist in Deutschland eindeutig benachteiligt, wird nicht einbezogen.

Fazit der Umfragen: Die meisten Jugendlichen sind trotz Leistungsdruck, den sie sich selbst machen oder ihre Eltern mit ihrem Leben zufrieden.Die Eltern kommen bei der Umfrage richtig gut weg: 42 Prozent gaben ihren Eltern eine Eins, 44 Prozent eine Zwei, elf Prozent eine Drei und nur drei Prozent eine Vier.

Der Druck von außen wird sogar noch als positiv gewertet. Strafen für schulische Verfehlungen werden fast nie erteilt. Appelliert wird fast immer an die eigenen Enttäuschungen und den mehr oder weniger ausgeprägten Ehrgeiz, die Noten wieder ins Lot zu bringen.
Inge Kloepfer versucht in ihren Auswertungen der Fragebögen und den Kommentaren ihrer Tochter zu den angesprochenen Themen einen versöhnlichen, auch leicht ironischen Ton anzuschlagen. Dass die medialen Miterzieher nerven können und Erziehung „nervenzehrende Schwerstarbeit“ sein kann, aus der sich die Väter meistens raushalten, muss sicher nicht erwähnt werden. Genügend Zusatzmaterial zum Bewerten und Kommentieren findet die Autorin in diversen Erziehungsratgebern und Artikeln zum Thema in Wochenzeitungen.

Bleibt die Frage offen, woher die ganze Bildungspanik stammt. Rührt sie nicht eher daher, dass Eltern in der Angst leben, dass gerade die Bildungsvermittlung in bestimmten Bundesländern im argen liegt.

In gewisser Weise beruhigt dieses Sachbuch, denn irgendwie scheinen Eltern entweder alles richtig oder alles falsch zu machen. Laut Fragebögen liegen die Eltern mit ihren Forderungen aber genau richtig und die Jugendlichen akzeptieren die Erwartungen und versuchen sie, auch weil sie es so wollen, zu erfüllen.
Spannend ist es, die Einschätzungen der Kinder über ihr Leben und die Verhaltensweisen der Eltern zu lesen.

Das Buch von Isabel und Inge Kloepfer soll deshalb kein weiterer Erziehungsratgeber sein, sondern ein Debattenbuch, das anregen soll, nicht nur über, sondern auch mit den Kindern zu reden. \“Weil sie das zwinge, einen eigenen Standpunkt zu bilden – und das mache starke Kinder.\“, sagt Inge Kloepfer und fügt hinzu. „Im Grunde geht es um die Interessen der Erwachsenen und ihrem Hin- und Hergerissensein zwischen Förderwahn und Verweigerung, zwischen der Angst, bei den Kindern etwas zu verpassen, und einer aufgesetzten Gelassenheit, mit der sie versuchen, der Beschleunigung die Stirn zu bieten.“