Rosamund Lupton: Außer sich, Aus dem Englischen von Barbara Christ, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2012, 429 Seiten, €19,99, 978-3-455-40355-8

„Ich rede zu viel. Das Problem ist, dass man vor einem neuen Satz nicht Luft holen muss, wenn man „außer sich“ ist, also gibt es auch keine physisch bedingten natürlichen Pausen.“

Ein fürchterlicher Brand in der Schule ihres Sohnes Adam reißt die Familie Corvey auseinander. Mutter Grace und die 17-jährige Tochter Jenny befinden sich an dem fraglichen Tag in der teuren Privatschule beim Sportfest. Der achtjährige Sohn Adam konnte sich retten. Doch als Grace bemerkt, dass Jenny noch im Erste-Hilfe-Raum im oberen Stock sein müsste, läuft sie in das brennende Gebäude. Schwerverletzt werden Mutter und Tochter ins Krankenhaus eingewiesen, Grace’s Gehirnfunktionen setzen aus und Jenny hat schwere Organverletzungen, eine Herztransplantation würde ihr Leben retten. Ehemann Michael, ein bekannter Dokumentarfilmer eilt mit seiner Schwester, die als Polizistin arbeitet, in die Intensivstation.
Wie aus der Vogelperspektive, von außen sozusagen, schaut der Leser nun gemeinsam mit Grace und Jenny auf die folgenden Ereignisse. Grace und Jennys Geist scheinen in einer Phase zwischen Leben und Tod aktiv zu sein. Passiv müssen beide beobachten, was mit ihnen, ihrer Familie und dem Kriminalfall, es geht um Brandstiftung, geschieht. Diese überirdische Erzählperspektive scheint im ersten Moment ungewöhnlich, bietet aber für Grace die Möglichkeit, über ihr Leben rückblickend und die gegenwärtigen Geschehnisse in der Schule zu reflektieren.
Schnell findet Detektive Inspector Baker, eine brummeliger, engstirniger Beamter, den Schuldigen – Adam. Der Junge, dessen Geburtstag an diesem Tag gefeiert werden sollte, hatte Streichhölzer in die Schule mitgebracht, um die Kerzen auf dem Kuchen anzuzünden. Ein Zeuge hatte ihn gesehen, wie er den Kunstraum, in dem der Brand ausbrach, mit Streichhölzern in der Hand verließ.
Grace kann nicht fassen, dass ihr sanfter Sohn zu dieser Tat fähig wäre. Wieso?
Was hat die Tat mit dem vor Kurzem in Unehren entlassenen Lehrer, den Adam so liebte, zu tun? Steht der Brand mit den Hassbriefen in Verbindung, die Jenny über längere Zeit erhielt? Wie kann es sein, dass die Direktorin der Privatschule, die eher ein Unternehmen als eine Bildungseinrichtung ist, die Brandschutzbestimmungen fast auswendig aufsagen kann? Steckt hinter der ganzen Geschichte vielleicht Versicherungsbetrug?
Grace ist mit ihrer Stimme aus dem Off zur inaktiven Beobachterin der Szenerie verdammt, denn sie kann zwar umarmen, in Autos mitfahren und Personen begleiten. Aber sie kann nichts beeinflussen.
Aus ihrer unheilvollen Perspektive verfolgt der Leser die Ermittlungen, die Grace‘ Schwägerin entgegen vielen Vorschriften einleitet. Grace muss im Laufe der Geschehnisse ihre Urteile über Menschen, die sie glaubte zu kennen, revidieren und sie stellt für sich fest, wie sehr sie ihre Tochter unterschätzt hat.

Bei aller Tragik ist diese fesselnde, wie spannende Geschichte eine euphorische Hymne auf das Leben.