Verena Carl: Wer reinkommt, ist drin, Eichborn Verlag, Köln 2012, 320 Seiten, €18,00, 978-3-8479-0008-5

„Dennoch war Sascha präsent bei ihren Treffen, wie ein unsichtbares Energiezentrum in ihrer Mitte, ein Magnet, der beide Frauen gleichzeitig anzog und immer wieder zusammenführte, ohne dass er körperlich anwesend sein musste.“

München, Ende der 1990er Jahre: Uli, aus einem kleinen Ort in der Pfalz kommend, zieht ins weltgewandte München um zu studieren. Das Papakind soll irgendwann mal die Wirtschaft des Vaters übernehmen und konzentriert sich auf BWL, Richtung Touristik. Den Kopf voller Hoffnungen und Träume zieht sie bei der drei Jahre älteren Jo, die sich von einem Praktikum bei einer Boulevardzeitung zu einem Livestilmagazin „hocharbeitet“, ein. In der Wohnung gegenüber lebt der charmante, aber nicht zu greifende Sascha. Er stammt aus der DDR, irgendwo aus dem Brandenburgischen. Mit seinen langen Haaren, der lässigen, irgendwie verschlagenen Art zieht er Uli maßlos an. Die schlagfertige Jo hält sich lieber fern, denn sie ahnt, dass Sascha kein Mann zum Verlieben ist. Ist Jo bereits geerdet, so spielt Uli mit Hilfe des Sponsoring ihrer Eltern die Erwachsene und übt sich laut ihrer Mitbewohnerin im „Coolness Grundkurs für Landeier“.

Alles steht auf Anfang für Jo, Uli und Sascha. Allein in der großen Stadt kann Uli daheim vor ihren Freunden zum einen mit Sascha angeben, mit dem sie zwar geschlafen hat, aber nie weiß, woran sie mit ihm ist. Benutzt er sie, mag er sie, freut es ihn, sie mit seinen grausamen Spielen zu quälen? Jo beobachtet skeptisch die Sache zwischen Sascha und Uli, die immer ein bisschen zu übereifrig ist, und ahnt, dass Uli enttäuscht werden wird. Jo bastelt weiterhin an ihrer journalistischen Karriere und ihren „großen strahlenden Zielen“ im Verlagswesen. Uli dagegen hat einen akribischen Plan fürs Leben.

Der Titel „Wer reinkommt, ist drin“ bezieht sich auf die Fähigkeit an den „harten Türen“ und Einlassern der angesagten Clubs vorbeizukommen oder auch auf die hippe Gesellschaft, die in dieser Zeit noch nicht von der platzenden New Economy-Blase oder Wirtschaftskrisen geschüttelt wurde.

Im Hintergrund der Geschichte erzählt die Autorin von langsamen Beginn des Computerzeitalters. Noch wird dieser ganz Cyper-Quatsch belächelt, noch weiß man nicht, was man mit einer E-Mail-Adresse anfangen soll und dass man im Netz flirten kann, scheint revolutionär. Der clevere, äußerst ambivalente Sascha erkennt das Potential der Entwicklung und wird zum Unternehmer aufsteigen, der blitzschnell Projekte entwickelt, die ihn zum wohlhabenden Mann machen werden.

Inzwischen haben sich die Blätter gewendet. Jo und Sascha, die im Geiste ebenbürtig, aber genauso einsam sind, haben sich gefunden und Jo ist schwanger. Aber auch Uli, die aus der WG ausgezogen ist, probt den steilen Aufstieg durch die neuen Medien. Sie wird Online-Redakteurin im Livestilemagazin, in dem Jo einst arbeitete.
Doch alle Lebensträume scheitern letztendlich am Leben selbst, den Zufällen, den Unwidrigkeiten, die niemand voraussagen kann.

Verena Carl ist eine genaue Beobachterin der gesellschaftlichen Schwingungen und hat gespickt mit viel Ironie drei Lebenskonzepte von Menschen erdacht, die am Beginn ihrer beruflichen Karriere und Lebensplanung stehen. Immer wieder durchkreuzen sich ihre Wege, mal entspannt, fast glücklich, dann wieder niederschmetternd und unheilvoll. Die Autorin fängt atmosphärisch dicht die Zeit ein, in der Aufbruchstimmung herrschte, die Generation Praktikum sich andeutete, die politischen Ereignisse in Europa aber hinter Technopartys und der Spaßgesellschaft verblassten. Autobiografische Züge verleiht Verena Carl ihrer Figur Jo, die letztendlich mit ihrem genauen Blick auf die Dinge und Ereignisse und all ihren Brüchen noch als sympathischste Protagonistin durchgeht.

„Liebe, dachte sie. Ein Stoff wie jeder andere. Strapazierfähig, aber nicht unendlich. Irgendwann würde die Liebe so aussehen wie Ludwigs durchgekrabbelte Hosen.“