Margaret Atwood: Penelope und die zwölf Mägde, Aus dem Englischen übertragen von Marcus Ingendaay und Sabine Hübner, Wunderraum / Wilhelm Goldmann Verlag, München 2022, 189 Seiten, €22,00, 978-3-442-31680-9
„Die Gelegenheit ist also günstig, das Gewebe der alten Geschichten noch einmal aufzudröseln – und neu zu spinnen. Aber diesmal so, wie ich es will.“
Langmütig und zäh bezeichnen die Leute Penelope, die Frau, die gute zwanzig Jahre auf ihren Ehegatten Odysseus gewartet hat und sich gegen die zahlreichen Freier, die sich nur die Bäuche auf ihre Kosten vollgeschlagen haben, ebenfalls mit einer List zu wehren. Aus ihrer Sicht erzählt die kanadische Autorin Margaret Atwood wie sich alles in den früheren Zeiten angeblich zugetragen hat. Nicht Odysseus ist der Held der Geschichte, sondern Penelope, denn sie steht ihrem Gatten in Klugheit nicht nach. Immerhin war es laut ihrer Aussage, die man ja auch in Zweifel ziehen kann, ihre Idee, dass die Freier den Pfeil durch 12 Ösen schießen sollen. Natürlich wusste sie, dass dies nur Odysseus vermag, der sich wie immer als „Verwandlungskünstler“ schon längst unter die Freier gemischt hatte.
Penelope befindet sich während ihrer Erzählung jedoch im Hades. Auch die zwölf Mägde kommen als Geister zu Wort und lassen sich über alles aus, was ihnen gegen den Strich geht, allerdings zum größten Teil in Versform. Penelope spricht ziemlich gegenwärtig in schnoddriger Umgangssprache, was irgendwie witzig klingt. Auf jeden Fall teilt sie ziemlich respektlos aus und nimmt sich dabei auch die Gegenwart vor. So macht sie sich über kulturbesessene Museumsbesucher lustig, die sich den alten „Krempel“ von früher ansehen.
„Täglich trampelt eine stillose Ochsenherde durch die hohen Hallen und begafft Gold- und Silberzeug, das schon vor Zeiten außer Gebrauch geriet.“
Und da die Masse sich kein Gold und Silber leisten kann, kaufen sie billige Kopien des gerade Begafften. Gut beobachtet.
Die Tochter von König Ikarios von Sparta und der Wassernymphe Najade arbeitet sich am bekannten antiken Stoff, allerdings nun aus Frauensicht, ab. Neidisch auf Cousine Helena, die offensichtlich jeden haben kann, erzählt die nicht sonderlich schöne, aber die Zusammenhänge durchschauende Penelope von ihrer ersten Begegnung mit Odysseus. Er, den sie eher als „den Dicken“ aus Ithaka wahrnimmt, entpuppt sich als verständnisvoller Ehemann. Auch wenn seine Beine angeblich zu kurz sind, er hat halt andere Qualitäten. Auch wenn Penelope es nicht zugeben will, die arrangierte Heirat mit Odysseus hat sie nicht bereut.
Wären da nicht die schreckliche Schwiegermutter und die Amme Eurykleia von Odysseus, es wäre ihr in den Zeiten des Wartens besser ergangen.
Sohn Telemachos muss nun durch den Zwist um „Miststück“ Helena und Paris ( den „Kracher der Saison“ ) ohne Vater groß werden. Penelope indessen schlägt sich mit den Freiern herum, denen es nie um sie, sondern nur um den Goldschatz und die Ländereien Ithakas ging.
Sie spricht sogar im Hades den ersten, äußerst unsympathischen, toten Freier, Antinoos, an, den Odysseus mit seinem Pfeil am Hals getroffen hatte. Er solle doch ehrlich erzählen, was die Freier damals so gedacht haben. Eigentlich sollten ja die zwölf Mädge die Freier aushorchen, aber so richtig gut hat das wohl nicht geklappt. Immerhin hat Odysseus alle getötet.
Doch was soll Penelopes Ausflug in ihre Wahrheit, die vielleicht doch niemand hören kann?
Sie stellt vieles infrage und darüber haben aber auch schon viele andere nachgedacht. Was bedeutet Heldentum und was patriarchale Gewalt? Allzu gegenwärtig sind diese Fragen, schaut man in Richtung Russland, Türkei oder ins Trump-Amerika.
Margaret Atwoods schmales Buch ist Teil einer mehrbändigen Reihe, in der Schriftsteller von heute antike Mythen nach- und neuerzählen.