Susan Kreller: Elefanten sieht man nicht, Carlsen Verlag, Hamburg 2012, 204 Seiten, €14,90, 978-3-551-58246-1
„Wirklich, ich bin niemand, der andere Menschen umarmt, das hatte mir keiner beigebracht, aber in diesem Moment, in dem ich Max‘ Körper sah, in diesem Moment hätte ich das am liebsten getan.“
Sechs lange Wochen Ferien bei Oma und Opa im langweiligen, tristen Barenburg, davor graust es die 11-jährige Mascha jedes Jahr. Aber sie hat keine Wahl. Der Vater muss arbeiten und Maschas Mutter ist schon lang tot. In der Siedlung, in der Maschas Großeltern wohnen, sehen die Vorgärten alle ordentlich aus und die Menschen sind, so die Großmutter, alles anständige, saubere Leute. Mascha sitzt aus Langeweile auf dem Spielplatz herum und lernt dort die Geschwister Julia und Max Brandner kennen. Sie hat ein wunderschönes Gesicht, ist aber klapperdürr und trägt auch im Hochsommer lange T-Shirts. Er wird von den Kindern als „Elefantenbaby“ gemein gehänselt. Durch einen unglücklichen Zufall sieht Mascha, dass Julias Bauch voller blauer Flecken ist. Auch Max hat Verletzungen am Kopf.
Als Mascha darüber mit ihrer Großmutter sprechen will, blockt diese sofort ab. Die Brandners besitzen das Autohaus im Ort und wenn man nichts beweisen kann, dann solle man den Mund halten. Aber Mascha spürt auch im Verhalten der neun- und siebenjährigen Geschwister, dass sie etwas zurückhalten. Sie beobachtet durch ein Fenster, wie der Vater Max gnadenlos schlägt. Doch warum äußert sich keiner der Nachbarn, auch sie müssten das Schreien, die Qualen der Kinder hören?
Mascha versucht mit ihrem Vater zu reden, ohne Erfolg. Ihr Anruf bei der Polizei wird einfach ignoriert.
Mascha beschließt die Kinder vor ihrem Vater zu beschützen. Sie erzählt ihnen eine Lüge und hält sie zwei Tage in einem Holzhaus im Getreidefeld fest. Immer offensichtlicher werden die psychischen wie physischen Qualen, die Geschwister in ihrem Elternhaus aushalten müssen. Mit einer perfiden Warnung hält der brutale Vater die Kinder in Schach. Die Androhung und Angst vor dem Heim und dem Tod der Mutter zwingt sie zum Schweigen. Auch Mascha ringt sich dazu durch und verspricht den Kindern, nichts zu sagen. Für das Mädchen ein riesiger Konflikt, denn sie wollte doch unbedingt helfen. Nun sind ihr die Hände gebunden.
Alles läuft ziemlich schief. Am Ende ist Mascha diejenige, die die Kinder entführt hat und von den doch so „anständigen“ Leuten in der Siedlung beschimpft wird.
Die Großmutter hat nur Verachtung für ihre Enkelin übrig. Mascha zweifelt an sich, an ihrem Handeln. Und doch hat sie alles richtig gemacht, denn der Arzt, der die Kinder nach der Auffindung untersucht, entdeckt die lang zurückliegenden, schweren Verletzungen und nicht gut verheilten Brüche. Auch wenn Herr Brandner droht den Arzt zu verklagen, diese Nachricht sickert zu den ehrbaren Leuten in der Siedlung durch. Doch dann endlich hält der Großvater sich nicht mehr an die hohlen Sprüche der Großmutter, die den Schein wahren und ihre Ruhe haben will. Er stellt sich an Maschas Seite und handelt.
Mascha muss etwas tun, nicht aus Langweile, sondern aus Mitgefühl. Susan Kreller findet in ihrem Debütroman dafür eine einfühlsame Sprache. Sie offenbart dem Leser das Dilemma aller drei Kinder und die unglaubliche Distanz und Ignoranz der Erwachsenen. Diese Geschichte ist schwer auszuhalten, aber sie erzählt von einem couragierten Kind, das nicht wegsehen kann und noch nicht so abgestumpft ist, wie die Erwachsenen in der ehrbaren Siedlung.
Noch ein Hinweis: Wenn Kinder dieses Buch lesen, sollten sie auf jeden Fall einen erwachsenen Ansprechpartner haben, um über die Thematik des Buches sprechen zu können.
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