Rachel Hawkins: Die Verschwundene, Aus dem Amerikanischen von Elvira Willems, Heyne Verlag, München 2021, 414 Seiten, €13,00, 978-3-453-42415-9
„Ich habe keinen Grund mehr, Angst zu haben, ermahne ich mich. Die Frau, die auf der Veranda steht, sieht nicht das Mädchen, das ich einmal war, sie weiß nicht, was ich getan habe.“
Die unscheinbare Jane ist Anfang Zwanzig und wirkt, als wäre sie irgendwo aus dem Nest gefallen.
Offenbar scheint die junge Frau, auch auf der Flucht zu sein. Irgendetwas muss in Phönix passiert sein. Als Hundesitterin verdient sie sich nun ihre überteuerte Miete, die sie an ihren einstigen Bekannten John, mit dem sie die Wohnung teilt, zahlen muss. Nebenher bestiehlt die junge Frau ihre reichen Kundinnen, die sowieso nicht registrieren, dass ihnen hier und da Schmuck fehlt. Und Jane kann eines perfekt, lügen oder vielleicht nur Halbwahrheiten erzählen. Sie muss sich im Gegensatz zu den Damen im Villenviertel von Birmingham, Alabama irgendwie durchschlagen.
Ein Wunder jedoch geschieht, als Jane den Inhaber des prunkvollsten Hauses im Ort durch einen Unfall kennenlernt. Eddie Rochester ist nicht nur unverschämt reich und attraktiv, er ist auch noch verwitwet. Seine Frau, Bea Rochester, eine Businessfrau mit eigener Firma und ihre Freundin Blanche Ingraham sind bei einem Bootsunglück ums Leben gekommen. Die Leichen wurden zwar nicht gefunden, aber alles deutet darauf hin. Jane führt auch den Hund von Tripp Ingraham aus und hat den leidenden Witwer aus der Nachbarschaft schon erlebt.
Jane und Eddie jedenfalls kommen sich näher und verlieben sich ineinander.
Multiperspektivisch erzählt die amerikanische Autorin Rachel Hawkins ihren Thriller. Als nun die durchaus lebendige Bea Rochester aus ihrem Blickwinkel von den Geschehnissen berichtet, weiß jeder, dass es sich hier um eine Geschichte dreht, die sich an den Klassiker „Jane Eyre“ von
Charlotte Brontë anlehnt. Leider erreicht Rachel Hawkins weder Tiefe, noch Romantik und schon gar nicht die gesellschaftspolitische Dimension, die den englischen Roman ausmacht.
Eddie hat Bea im Panikroom der Villa eingesperrt und lässt die Lesenden in dem Glauben, dass Eddie ihre Freundin Blanche getötet hat.
Jede Figur hat ihre ganz speziellen Geheimnisse, ob es Bea, Eddie oder Jane ist.
Jane rückt jedenfalls in den Kreis der wohlhabenden Frauen im Viertel auf und wird als Eddies künftige Frau an allen möglichen Wohltätigkeitsinitiativen beteiligt.
Parallel erinnert sich Bea an ihre Freundin Blanche und die erste Begegnung mit Eddie. Blanche warnt Bea vor Eddie, denn sie glaubt, er sei nur auf ihre Firma und die Millionen aus.
Als sie dann jedoch in ihrer Ehe mit Tripp nicht glücklich wird, wirft sie ein Auge auf ihren Nachbarn Eddie.
Jane, aber auch Eddie, auch er wird aus seinem Blickwinkel erzählen, sprechen die Lesenden direkt an und werben um Sympathien. Zugegeben, keine der Figuren ist wirklich angenehm, jede sieht nur ihren Vorteil in den eingegangenen Beziehungen. Oder liebt Eddie doch Bea mehr als sich beide eingestehen wollen? Jane hat sich jedenfalls der unterlassenen Hilfeleistung strafbar gemacht, denn sie hat ihren Pflegevater in Phönix, der sie wie Dreck behandelt hat, bei einem Herzinfakt einfach sterben lassen. Nebenher wird auch noch Jane vom schmierigen John, der ahnt, dass in Phönix irgendetwas passiert sein muss, erpresst, der sie als willkommene Einnahmequelle ansieht. Allerdings ahnt er nicht, dass der gewaltbereite Eddie auch Jane beobachtet und jeden ihrer Schritte kennt. Als Jane dann Geräusche in der Villa hört und Eddie sie nicht mehr ablenken kann, nimmt die Tragödie ihren Lauf.
Warum die Figuren, z.B. Jane und Eddie sich aufeinander einlassen, bleibt innerhalb der Handlung völlig unklar. Auch die Mordgeschichte ist vage. Dass die Frauen klüger sind als die Männer will diese Geschichte suggerieren, aber sie überzeugt nicht.